Ein abenteuerliches Herz
festlichen Trubel und sucht nicht die Einsamkeit. Oft benimmt er sich auffällig, doch genießt er hinsichtlich seines Verhaltens eine größere Lizenz als der Nüchterne. Den Lachenden sieht man lieber als den Betrübten; der Angeheiterte wird mit Wohlwollen betrachtet, oft auch als jener, der die Langeweile vertreibt und die Stimmung belebt. Ein Bote des Dionysos tritt ein und öffnet das Tor zur närrischen Welt. Das wirkt selbst auf den Nüchternen ansteckend.
Diese gesteigerte und nicht zu übersehende Aktivität hat dem Wort »Rausch« den Akzent erteilt. Ganz allgemein beansprucht die sichtbare Seite der Dinge auch in der Sprache einen stärkeren Anteil als die verborgene. Ein Beispiel dafür bietet das Wort »Tag«. Wenn wir es aussprechen, umfassen wir damit zugleich die Nacht. Die Lichtseite bezieht also den Schatten mit ein. Wir denken gemeinhin kaum darüber nach. Ganz ähnlich bezieht das Wort »Rausch«, obwohl es die augenfällige Steigerung der Lebenskräfte betont, auch ihre Dämpfung mit ein: die lethargischen und reglosen, dem Schlaf und dem Traum ähnelnden Zustände.
Der Rausch äußert sich in verschiedenen, oft konträren Erscheinungen; die Droge erzeugt ebenso verschiedene Wirkungen. Trotzdem ergänzen sich beide zu einem Komplex von großer Spannweite. Hasan Sabbâh soll seine Assassinen durch ein und dasselbe Mittel, den Haschisch, sowohl in die Welt glückseliger Träume wie in die des Mordes geführt haben.
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Wer sich betäuben will, verhält sich anders als jener, der sich nach Art der Schwärmer zu berauschen gedenkt. Er sucht nicht die Gesellschaft, sondern die Einsamkeit auf. Er steht der Sucht näher, daher pflegt er sein Tun zu verbergen, dem auch die festliche Periodik fehlt. Der »heimliche Trinker« gilt als bedenklicher Typ.
Wer sich schwer und gewohnheitsmäßig betäubt, ist schon deshalb auf Heimlichkeit angewiesen, weil die Droge fast immer aus dunklen Quellen stammt. Ihr Genuß führt in eine Zone der Illegalität. Es gehört daher zu den Anzeichen beginnender Anarchie, wenn derart Berauschte die Öffentlichkeit nicht mehr scheuen. So konnte man nach dem Ersten Weltkrieg in den Cafés Drogierte beobachten, die dort »Löcher in die Luft starrten«.
Der Betäubte meidet aber nicht nur deshalb die Gesellschaft, weil er sie aus verschiedenen Gründen zu fürchten hat. Er ist seiner Natur nach auf Einsamkeit angewiesen; sein Wesen ist nicht mitteilender, sondern empfangender, rezeptiver Natur. Er sitzt wie vor einem magischen Spiegel, regungslos in sich selbst versunken, und immer ist es dieses Selbst, das er genießt, sei es als reine Euphorie, sei es als Bildwelt, die sein Inneres erzeugt und die auf ihn zurückflutet. So gibt es Lampen, deren fluoreszierendes Licht einen grauen Stein in eine Goldstufe verwandeln kann.
Baudelaire, der den Haschisch »eine Waffe zum Selbstmord« nennt, erwähnt unter anderen Wirkungen die außerordentliche Kälte nach dem Genuß der Droge, den er zur »Klasse der einsamen Freuden« zählt. Dieses Frieren, das auch andere Phantastica erzeugen, ist nicht nur physischer Natur. Es ist auch ein Zeichen der Einsamkeit.
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Narkissos war der Sohn eines Flußgottes und einer Nymphe, der Liriope. Die Mutter war von seiner Schönheit ebenso entzückt wie durch seine Kaltsinnigkeit erschreckt. Um sein Schicksal besorgt, fragte sie den Seher Teiresias um Rat und hörte von ihm das Orakel: ihrem Sohn werde, falls er sich selbst nicht kennenlernen würde, ein langes Leben beschieden sein. Das rätselhafte Wort ging in Erfüllung, als Narkissos eines Tages, von der Jagd heimkehrend, sich durstig über einen Quell beugte und in ihm sein Spiegelbild sah. Der Jüngling verliebte sich in das Phantom, und er verzehrte sich in ungestillter Sehnsucht nach dem eigenen Bilde, bis er zugrunde ging. Die Götter verwandelten ihn in eine Blume von betäubendem Duft, in die Narzisse, die noch heute seinen Namen trägt und deren Blüte sich gern über stille Gewässer neigt.
Wahrscheinlich haben sich vom Narkissos-Mythos, wie von so vielen anderen, nur Rudimente erhalten; sein großes Thema scheint die Sehnsucht gewesen zu sein. Ihr erlag auch die Nymphe Echo, die sich vergeblich nach der Umarmung des Narkissos sehnte und sich vor Gram verzehrte, bis endlich von ihr nichts mehr als die Stimme blieb.
Narkissos lernte sich kennen, doch er erkannte sich nicht. »Erkenne dich selbst!« stand über dem Apollo-Tempel zu Delphi; Narkissos scheiterte wie so viele andere
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