Ein abenteuerliches Herz
Stande vorgeschrieben sind. In gleicher Weise hatte uns die Wissenschaft gar oft gestärkt. Es liegt im Blick des Auges, der sich erkennend und ohne niedere Blendung auf die Dinge richtet, eine große Kraft. Er nährt sich von der Schöpfung auf besondere Weise, und hierin liegt allein die Macht der Wissenschaft. So fühlten wir, wie selbst das schwache Blümlein in seiner Form und Bildung, die unverwelklich sind, uns stärkte, dem Hauche der Verwesung zu widerstehen.
Als wir dann durch das hohe Holz zum Waldrand schritten, war die Sonne hervorgetreten, wie man das zuweilen noch kurz vor ihrem Untergange an Nebeltagen sieht. In den durchbrochenen Kronen der Riesenbäume lag goldener Schein, und golden war auch der Glanz des Mooses, das unser Fuß betrat. Die Kuckucksrufe waren nun längst verstummt, doch in den höchsten, wipfeldürren Zweigen waren unsichtbar die Sprosser aufgezogen, köstliche Sänger, deren Stimme die kühle Feuchte inniglich durchdrang. Dann stieg mit grünem Schimmer, wie aus Grotten, der Abend auf. Den Geißblattranken, die aus der Höhe herniederhingen, entströmte tiefer Duft, und schwirrend stiegen die bunten Abendschwärmer zu ihren gelben Blütenhörnern auf. Wir sahen sie leise zitternd und wie im Wollusttraum verloren vor den Lippen der aufgereckten Kelche stehen, dann stießen sie vibrierend den schmalen und leicht gekrümmten Rüssel in den süßen Grund.
Als wir bei den drei Pappeln das Fillerhorn verließen, begann bereits die bleiche Sichel des Mondes sich in Gold zu färben, und die Sterne traten am Firmament hervor. Im Binsengrunde stießen wir auf den alten Belovar, der in der Dämmerung mit seinen Knechten und Hetzern auf unsere Spur gegangen war. Der Alte lachte, als wir ihm nachher beim Safranweine die rote Blume zeigten, die wir in Köppelsbleek erbeutet hatten; wir aber schwiegen und baten ihn beim Abschied, auf seinem schönen und unversehrten Hofe wohl auf der Hut zu sein.
20
Es gibt Erfahrungen, die uns von neuem zur Prüfung zwingen, und zu ihnen zählte für uns der Einblick in die Schinderhütte bei Köppelsbleek. Zunächst beschlossen wir, den Pater Lampros aufzusuchen, doch ehe wir in das Kloster der Falcifera gelangten, brach das Verhängnis über uns herein.
Am nächsten Tage ordneten wir lange Skripturen im Herbarium und in der Bibliothek und legten vieles schon brandgerecht. Wir hatten nun die Nähe der Gefahr erkannt. Dann saß ich noch ein wenig bei Beginn der Dunkelheit im Garten auf der Terrassenbrüstung, um mich am Duft der Blumen zu erfreuen. Noch lag die Sonnenwärme auf den Beeten, und doch stieg aus den Ufergräsern bereits die erste Kühlung auf, die den Geruch des Staubes niederschlug. Dann fiel der Hauch der Mondviolen und der hellen Nachtkerzenblüten kaskadisch von den Marmorklippen in den Garten der Rautenklause ein. Und wie es Düfte gibt, die sinken, und andere, die aufwärtssteigen, so drang durch diese schweren Wellen ein leichteres und feineres Arom empor.
Ich ging ihm nach und sah, daß in der Dämmerung die große Goldbandlilie aus Zipangu aufgesprungen war. Es war noch Licht genug, den goldenen Flammenstrich zu ahnen und auch die Tigerung, durch die der weiße Kelch gar prächtig gezeichnet war. In seinem hellen Grunde stand wie der Klöppel in der Glocke das Pistill, um das sechs schmale Staubgefäße sich im Kreise ordneten. Sie waren mit braunem Puder wie mit dem feinsten Auszug von Opium bedeckt und von den Faltern ganz unbeflogen, so daß die zarte Scheide in ihrer Mitte noch leuchtete. Ich beugte mich über sie und sah, daß sie an ihren Fäden zitterten wie Spielwerk der Natur: gleich einem Glockenspiele, das statt der Töne muskatische Essenz verströmen ließ. Für immer wird es ein Wunder bleiben, daß diese zarten Lebewesen so starke Liebeskraft beseelt.
Indem ich so die Lilien beschaute, blitzte unten am Weinbergwege ein feiner blauer Lichtstrahl auf und schob sich tastend am Rebenhügel vor. Dann hörte ich, wie vor der Rautenklausenpforte ein Wagen hielt. Obgleich wir Gäste nicht erwarteten, eilte ich doch der Lanzenottern wegen zum Tor hinab und sah dort einen starken Wagen stehen, der leise summte wie ein Insekt, das fast unhörbar schwirrt. Er trug die Farben, die der hohe Adel von Neuburgund sich vorbehalten hat, und vor ihm standen zwei Männer, von denen der eine das Zeichen schlug, mit dem die Mauretanier sich in der Dunkelheit verständigen. Er nannte mir seinen Namen, Braquemart, an den ich mich erinnerte,
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