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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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Bewaffnete erheben würden als ritterliche Führer im Freiheitskampf. Statt dessen sah ich diesen frühen Greis, der selbst der Stütze bedürftig war und dessen Anblick mir vollends deutlich machte, wie weit der Untergang schon vorgeschritten war. Und dennoch schien es wunderbar, daß dieser müde Träumer sich berufen fühlte, Schutz zu gewähren – so drängen die Schwächsten und die Reinsten sich zu den ehernen Gewichten dieser Welt.
    Ich hatte schon unten vor der Pforte geahnt, was diese beiden mit abgeblendeten Laternen zu uns führte, und auch mein Bruder Otho schien es zu wissen, ehe noch ein Wort gefallen war. Dann bat uns Braquemart um eine Schilderung der Lage, die Bruder Otho ihm bis ins einzelne erstattete. Der Art, in der sie Braquemart ergriff, war zu entnehmen, daß er über alle Kräfte und Gegenkräfte vortrefflich unterrichtet war. Die Klärung der Lage bis in die feinsten Züge gehört ja zum Handwerk der Mauretanier. Er hatte schon mit Biedenhorn gesprochen, nur Pater Lampros war ihm unbekannt.
    Der Fürst hingegen verharrte in gebeugter Träumerei. Selbst die Erwähnung von Köppelsbleek, die Braquemart in Laune versetzte, schien von ihm abzugleiten; nur als er von der Schändung des Eburnums hörte, fuhr er zornig von seinem Sitz empor. Dann streifte Bruder Otho noch in allgemeinen Sätzen die Meinung, die wir von den Dingen hegten, und das Verhalten, das uns angemessen schien. Dem hörte Braquemart zwar höflich, jedoch mit schlecht verhehltem Spotte zu. Es war ihm von der Stirne abzulesen, daß er uns nur als schwächliche Phantasten betrachtete und daß sein Urteil schon gebildet war. So gibt es Lagen, in denen jeder jeden für einen Träumer hält.
    Es mag nun wunderlich erscheinen, daß Braquemart in diesem Handel dem Alten entgegentreten wollte, obgleich doch beide in ihrem Sinnen und Trachten viel Ähnliches verband. Es ist jedoch ein Fehler, der uns im Denken häufig unterläuft, daß wir bei Gleichheit der Methoden auch auf die gleichen Ziele schließen und auf die Einheit des Willens, der hinter ihnen steht. Darin bestand Verschiedenheit insofern, als der Alte die Marina mit Bestien zu bevölkern im Sinne hatte, indessen Braquemart sie als den Boden für Sklaven und für Sklavenheere betrachtete. Es drehte sich dabei im Grunde um einen der inneren Konflikte unter Mauretaniern, den hier in seinen Einzelheiten zu beschreiben nicht tunlich ist. Es sei nur angedeutet, daß zwischen dem ausgeformten Nihilismus und der wilden Anarchie ein tiefer Gegensatz besteht. Es handelt sich bei diesem Kampfe darum, ob die Menschensiedlung zur Wüste oder zum Urwald umgewandelt werden soll.
    Was Braquemart betrifft, so waren alle Züge des späten Nihilismus an ihm sehr ausgeprägt. Ihm war die kalte, wurzellose Intelligenz zu eigen und auch die Neigung zur Utopie. Er faßte wie alle seinesgleichen das Leben als ein Uhrwerk auf, und er erblickte in Gewalt und Schrecken die Antriebsräder der Lebensuhr. Zugleich erging er sich in den Begriffen einer zweiten und künstlichen Natur, berauschte sich am Dufte nachgeahmter Blumen und den Genüssen einer vorgespielten Sinnlichkeit. Die Schöpfung war in seiner Brust getötet und wie ein Spielwerk wieder aufgebaut. Eisblumen blühten auf seiner Stirn. Wenn man ihn sah, dann mußte man an den tiefen Ausspruch seines Meisters denken: »Die Wüste wächst – weh dem, der Wüsten birgt!«
    Und dennoch spürten wir eine leise Neigung zu Braquemart – nicht so sehr deshalb, weil er Herz besaß, denn wenn der Mensch sich den Gesteinen nähert, verringert sich auch das Verdienst, das auf dem Mut beruht. Es war vielmehr ein feiner Schmerz an ihm das Liebenswerte – die Bitterkeit des Menschen, der sein Heil verloren hat. Er suchte sich dafür an der Welt zu rächen, gleich wie ein Kind in eitlem Zorn den bunten Blumenflor zerstört. Auch schonte er nicht sich selbst und drang mit kaltem Mute in die Labyrinthe des Schreckens ein. So suchen wir, wenn uns der Sinn der Heimat verloren ging, die fernen Abenteuerwelten auf.
    Im Denken suchte er das Leben nachzuzeichnen und hielt darauf, daß der Gedanke Zähne und Krallen zeigen muß. Doch glichen seine Theorien einem Destillate, in das die eigentliche Lebenskraft nicht überging; es fehlte ihnen das köstliche Ingrediens des Überflusses, das alle Speisen erst schmackhaft macht. Es herrschte Dürre in seinen Plänen, obgleich kein Fehler in der Logik zu finden war. So schwindet der Wohlklang der Glocke durch einen

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