Ein abenteuerliches Herz
und stellte mich dann dem andern vor, dem jungen Fürsten von Sunmyra, einem hohen Herren aus neuburgundischem Geschlecht.
Ich bat sie, in die Rautenklause einzutreten, und faßte sie, um sie zu führen, bei der Hand. Wir schritten zu dritt im schwachen Scheine den Schlangenpfad empor, und ich bemerkte, daß der Fürst der Tiere kaum achtete, indessen Braquemart sie spöttisch und doch sehr aufmerksam vermied.
Wir gingen in die Bibliothek, in der wir Bruder Otho trafen, und während Lampusa Wein und Gebäck aufsetzte, begannen wir mit unseren Gästen das Gespräch. Wir kannten Braquemart bereits von früher, doch hatten wir ihn immer nur kurz gesehen, da er häufig auf Reisen war. Er war ein kleiner, dunkler, hagerer Geselle, den wir ein wenig grobdrähtig fanden, doch wie alle Mauretanier nicht ohne Geist. Er zählte zu jenem Schlage, den wir im Scherz die Tigerjäger nannten, weil man ihnen zumeist in Abenteuern, die exotischen Charakter trugen, begegnete. Er ging in die Gefahr, wie man zum Sport in klüftereiche Massive steigt; ihm waren die Ebenen verhaßt. Er hatte ein starkes Herz von jener Sorte, die nicht vor Hindernissen scheut; doch leider gesellte sich dieser Tugend Verachtung zu. Wie alle Schwärmer von Macht und Übermacht verlegte er seine wilden Träume in die Reiche der Utopie. Er war der Meinung, daß es auf Erden seit Anbeginn zwei Rassen gebe, die Herren und die Knechte, und daß im Lauf der Zeiten zwischen ihnen Vermischung eingetreten sei. In dieser Hinsicht war er ein Schüler vom Alten Pulverkopf und forderte wie dieser die neue Sonderung. Auch lebte er, wie jeder grobe Theoretiker, vom Zeitgemäßen in der Wissenschaft und trieb besonders die Archäologie. Er war nicht fein genug, zu ahnen, daß unser Spaten unfehlbar alle Dinge findet, die uns im Sinne leben, und er hatte, wie schon so mancher vor ihm, auf diese Weise den ersten Sitz des menschlichen Geschlechts entdeckt. Wir waren mit in der Sitzung, in der er über diese Grabungen berichtete, und hörten, daß er in einer fernen Wüste auf ein groteskes Tafelland gestoßen war. Dort wuchsen hohe Porphyrsockel aus einer großen Ebene empor – sie waren von der Verwitterung ausgespart und standen wie Bastionen oder Felseninseln auf dem Grund. Sie hatte Braquemart erstiegen und auf den Hochplateaus Ruinen von Fürstenschlössern und Sonnentempeln aufgefunden, deren Alter er als vor der Zeit bezeichnete. Nachdem er ihre Maße und ihre Eigenart beschrieben hatte, ließ er das Land im Bilde auferstehen. Er zeigte die fetten grünen Weidegründe, auf denen, so weit das Auge reichte, die Hirten und die Ackerbauern mit ihren Herden saßen und über ihnen auf den Porphyrtürmen im roten Prunk die Adlernester der Urgebieter dieser Welt. Auch ließ er den längst versiegten Strom die Schiffe mit den Purpurdecks hinunterfahren; man sah die hundert Ruder mit insektenhaftem Regelmaß ins Wasser tauchen und hörte den Klang der Becken und der Geißel, die auf den Rücken der unglückseligen Galeerensklaven fiel. Das waren Bilder für Braquemart. Er zählte zum Schlage der konkreten Träumer, der sehr gefährlich ist.
Den jungen Fürsten sahen wir abwesend in ganz anderer Art. Er mochte zwanzig Jahr kaum überschritten haben, doch stand zu diesem Alter ein Ausdruck schweren Leidens, den wir an ihm bemerkten, in sonderbarem Gegensatz. Obwohl er hoch gewachsen war, hielt er sich tief gebeugt, als ob die Größe ihm Schwierigkeit bereitete. Auch schien er kaum zu hören, was wir verhandelten. Ich hatte den Eindruck, daß hohes Alter und große Jugend sich in ihm vereinten – das Alter des Geschlechtes und die Jugend der Person. In seinem Wesen war die Dekadenz tief ausgebildet; man merkte an ihm den Zug alt angestammter Größe und auch den Gegenzug, wie ihn die Erde auf alles Erbe übt – denn Erbe ist Totengut.
Ich hatte wohl erwartet, daß in der letzten Phase des Ringens um die Marina der Adel in Erscheinung treten würde – denn in den edlen Herzen brennt das Leiden des Volkes am heißesten. Wenn das Gefühl für Recht und Sitte schwindet und wenn der Schrecken die Sinne trübt, dann sind die Kräfte der Eintagsmenschen gar bald versiegt. Doch in den alten Stämmen lebt die Kenntnis des wahren und legitimen Maßes, und aus ihnen brechen die neuen Sprosse der Gerechtigkeit hervor. Aus diesem Grunde wird bei allen Völkern dem edlen Blute der Vorrang eingeräumt. Doch hatte ich geglaubt, daß eines Tages aus den Schlössern und Burgen sich
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