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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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Tode eines Unbekannten kam noch für die Morgenzeitungen zurecht. Ich schüttete das Pulver in mein Glas.
    In diesem Augenblick trat eilig ein Reisender in blauem Anzug ein und näherte sich meinem Tisch. Ich sah mit dumpfem Erstaunen, daß es der Doktor Fancy war. Er setzte sich mir gegenüber und sah mich prüfend an:
    »Sieh da, ein alter Patient, wenn ich nicht irre – wie geht es Ihren Augen, wenn ich fragen darf?«
    Ich musterte ihn mürrisch, haßerfüllt:
    »Das dürften Sie wohl besser beurteilen als ich. Doch diesmal regle ich meine Angelegenheiten selbst.«
    Der Doktor Fancy lächelte und pfiff die alte Melodie.
    »Wir wissen wohl, daß es Patienten gibt, die unzufrieden sind, wenn ihnen der Star gestochen wird. Sie klagen über zu harte Sicht. Ein Zustand mittlerer Optik scheint am bekömmlichsten – ein clair obscur.«
    Er nahm mein Glas und sog den Duft behaglich ein. Ich sah ihm bösartig zu, erwartungsvoll. Der Doktor lächelte von neuem und wiederholte seine Melodie in höherem Ton:
    »Ich sehe, Sie haben Fortschritte gemacht. Das riecht sehr gut – nach Bittermandelöl.«
    Er goß den Inhalt auf den Boden und fuhr dann fort:
    »Wir wollen ernsthaft miteinander sprechen – es scheint, daß Sie den Eingriff für unzuträglich halten, obwohl er gut gelungen ist. Ich hatte sogar vor, ihn in den Fachzeitschriften zu veröffentlichen. Doch könnte man Ihnen auch mit geringer Mühe die alte Sicht zurückgeben.«
    Ich wagte kaum zu glauben, was ich hörte, und rief:
    »Wenn Sie das täten, Doktor, würde ich Ihnen mein Vermögen aufopfern. Sie wissen, daß es ungeheuer ist.«
    »Ich weiß es. Doch zähle ich zu den Künstlern, die ohne Honorar arbeiten. Da Sie gewissermaßen am Schürzungspunkt der Schleife wieder angekommen sind, wäre der Ablauf der Dinge im umgekehrten Sinn erforderlich. Sie müßten mich zunächst zu einem Blackberry-Brandy einladen. Dann wären wir im wesentlichen quitt.«
    Er rief den Kellner, und ich gab die Bestellung auf. Wir leerten die Gläser und machten uns wie damals auf den Weg. Er führte mich in das Haus und in das Sprechzimmer, das ich so oft gesucht hatte. Nachdem er seinen Kittel angezogen hatte, ließ Fancy mich in den Wachstuchsessel sitzen und sah mit einer großen Lupe meine Augen an. Indem er seine Instrumente ordnete, vertiefte er sich nach der Gewohnheit mancher Ärzte in ein Selbstgespräch, das halb auch an meine Adresse gerichtet war.
    »Das Auge«, sagte er, »ist unvollkommen wie alle Instrumente des Demiurg. Ein wenig Feuchte, ein wenig Farbe in einer dunklen Kammer, mit Aussicht auf ein mittleres Band des Lichtes voll unbestimmter Eindrücke. Als Werkzeug der Einsicht wird es durch das Unvorhergesehene begrenzt. Wenn wir es schärfen, damit es das Spiel des Zufalls ein wenig klarer sehe, beklagen die Patienten sich über Schmerzen durch zu starkes Licht. Sie fordern die Illusion zurück. Sie ziehen die Bilder verschleiert vor. Das Auge ist für ein Schattenreich geschaffen, nicht für das ungefärbte Licht. Das Licht, die große Macht des Universums, würde euch blenden, wenn es sich unverhüllt euch näherte. Die Schönheit, die Wahrheit, das Wissen sind unerträglich für den trüben Blick: ein Schatten schon von alledem genügt. Was drängt ihr über euren Kreis hinaus?
    Doch freilich«, fügte er hinzu, »wie könnte es anders sein? Das Universum ist ein Kunstwerk – darauf beruht die Unvollkommenheit; sie ist beabsichtigt.«
    Er wandte sich mir zu:
    »Ich habe Ihnen die Augen mit einer Säure angeschärft. Sie lassen sich durch eine Base wieder abstumpfen. Doch müßten Sie eine Minderung der Sehkraft in Kauf nehmen.«
    »Gehn Sie ans Werk – auf jedes Risiko.«
    Der Doktor zuckte die Achseln und wandte sich wieder seinen Instrumenten zu. Dann brachte er mich in die rechte Lage und ließ zwei Tropfen in meine Augen einfallen. Wieder durchglühte mich der blendende Schmerz, an den sich die Ohnmacht schloß. Als ich erwachte, sah ich, daß Doktor Fancy schon wieder im Straßenanzug war. Er sah mich prüfend an und sagte:
    »Sie können jetzt gehen.«
    »Ich dachte, Sie gäben mir noch Anweisungen mit?«
    »Ach so, Sie meinen, daß Ihr Guthaben jetzt an die armen Leute aufzuteilen sei? Zerbrechen Sie sich deswegen nicht den Kopf.«
    Er öffnete die Türe und ließ mich hinaus. Ich fühlte mich sehr elend und tastete mich an den Mauern fort. Die Dinge erschienen mir verschleiert, doch farbiger. An einer Kreuzung streifte mich ein Wagen und riß mich

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