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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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daß die Genüsse mich immer weniger befriedigten. Im Maß, in dem sich meine Mittel steigerten, verloren sie für mich an Wert. Nach Jahren des Exzesses sah ich mich auf ein Leben angewiesen, wie man es in teuren Sanatorien führt. Ich liebte die graue Farbe, die lautlose Bedienung, die Tage bei verhüllten Fenstern, die ungewürzten Platten, die unpersönlichen Gespräche, die Frauen, in denen sich hohe Eleganz mit Nichtigkeit vereint.
    Doch war es ein anderer Umstand, der mich weit mehr beunruhigte als das Ermatten der Heiterkeit, der Freude, der Lebenskraft. Er meldete sich gleich nach dem ersten Jubel des Erfolges an. Es wurde mir immer klarer, daß ich ein fürchterliches, ein unmitteilbares Geheimnis in mir trug. Und immer deutlicher erkannte ich dieses Geheimnis als verbrecherisch. Mein Anschlag gegen die Menschen war ungeheuerlich, war der des Erzfeindes. Er war so mächtig, daß er außerhalb des Gesetzes lag. Der Dieb, der eine sichere Gelegenheit erkundet, der Falschspieler, der seine Karten zinkt, der Mann, der Böses in seiner Kammer sinnt – sie alle nahmen noch an der Chance teil und unterstanden dem allumfassenden Gesetz. Sie wirkten als Menschen, indes ich automatische Kraft besaß. Sie konnten auch Komplizen haben, während mein Wissen die tiefste Einsamkeit voraussetzte. Ich merkte das daran, daß es mir unendlich lieber gewesen wäre, für einen Falschmünzer zu gelten, als daß man mein Geheimnis auch nur geahnt hätte. Die feine Hand, das unfehlbare Gelingen, das man an mir bewunderte – sie hätten Abscheu, Entsetzen und fürchterlichen Haß hervorgerufen, wenn man ihre Quellen erkannt hätte. Ein Wucherer, der das Wesen des Geldes besser kennt als jene Armen, von deren Blut er sich mästet, ein Don Juan, der die Technik der Verführung kaltblütig wiederholt wie eine Spieluhrmelodie – sie reichten nicht an meine Unfehlbarkeit heran. Damit entfernte ich mich vom menschlichen Geschlecht und trat in eine neue Ordnung ein. Der Mensch, der magische Macht gewinnt, wie sie die Tarnkappe, der Glücksring symbolisieren, verliert das Gleichgewicht, die Spannung, die uns im Lauf der Welt erhält; er tritt an Hebel, die unermeßlich sind. Bald schlagen die Gewalten gegen ihn zurück.
    Das wurde mir zunächst durch dumpfes Unbehagen spürbar, denn immer schärfer sah ich das Unheil, in dem ich mich befand. Die Welt entleerte sich, sie wurde Wüste; und Schemen bewegten sich nach mechanischem Gesetz in ihr. Ich fühlte, daß ich mich verirrt, verstiegen hatte, und mich erfaßte Sehnsucht, mich zurückzuziehen. Die Leere wuchs – wie waren selbst die Unglücklichen beneidenswert. Sie hatten Hunger, Durst und Hoffnung, sie hatten Schicksal; das alles fehlte mir.
    Damals erkannte ich, daß neben und über der Mechanik ein anderes Gesetz die Welt regiert und fruchtbar macht. Ich ahnte, daß es nur im Menschen zu finden sei, der liebend spendete. Die Leere zog mich zum Erfüllten, die Kälte zur Wärme hin. Ich fühlte, daß ich mich einem Herzen verknüpfen mußte, daß hier allein die Rettung lag. Doch war ich so verblendet, daß ich mich magischer Mittel bediente, als ich auf die Suche ging.
    An einem Abend, an dem die Unruhe fast unerträglich geworden war, ließ ich mich treiben und fühlte, daß es mich zum Schlesischen Bahnhof zog. Ich trat in seine große Halle ein, in der es beim Schein der Bogenlampen von Reisenden wimmelte. Wie oft in solchen Lagen belebte mich eine Art von wissender Spannung – die Neugier, warum ich wohl hierher gekommen war. Ich glich dem Jäger, den nie ein Zweifel faßt, ob er dem Wild begegnet, das er sucht.
    Ich fand es, als ich Helene traf. Sie saß im Bogen eines blinden Fensters auf einem Schließkorb, wie er das Gepäck der Mädchen bildet, die in Stellung gehen. Ich sah von hinten den billigen Mantel und die gebeugten Schultern eines Menschen, der einsam weint. Mit einem Blick erfaßte ich ihre Lage: verlassen, ohne Geld und Bekannte in der fremden Stadt. Das sind die Opfer, nach denen die Kupplerinnen, die Ausbeuter und die Vermittler dunkler Geschäfte auf Suche gehen.
    Ich näherte mich ihr und sprach sie an. Sie war so dankbar, denn sie war in einer Lage, in der man nach jeder Hilfe greift. Auch war der Argwohn ihrem Herzen fremd. Sie sah in mir den Nächsten, den man herbeisehnt, wenn man sich in Not befindet, und sie vertraute mir. Ich bot ihr Schutz und Obdach an. Wir trugen ihren Korb in eine Droschke und fuhren nach Treptow; ich hatte dort eines meiner

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