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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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Standquartiere, in denen ich zuweilen unter fremdem Namen lebte und meinem Spleen nachhing. Es war ein bescheidenes Retiro, ein Gartenhäuschen an der Spree. Helene zog dort in eine Kammer ein.
    Ich aß mit ihr zu Abend; wir tranken Tee und plauderten. Ich fand sie frisch und unbefangen und über das Seltsame der Begegnung kaum erstaunt. Sie hielt mich für ritterlich und gütig und konnte nicht ahnen, daß unsere Begegnung die des völlig naiven mit dem völlig bewußten Menschen war. Bald führte ich sie auf ihr Zimmer und gab ihr den Schlüssel, doch wußte ich, daß sie es nicht verschloß. Sie war ja wie ein Vogel in meiner Hand.
    Nachdem ich sie verlassen hatte, ging ich noch lange im Garten auf und ab. Die Nacht war dunkel; zuweilen glitt ein Schleppzug mit bunten Lichtern die Spree hinab. Ich wußte, daß man die Unschuld am leichtesten verführt. Doch kam es mir darauf nicht an. Ich wollte die Spannung wiederfinden, den inneren Sinn. Das war nur möglich, wenn ich mir im Reiche meiner schrankenlosen Freiheit Verbote schuf. Ich wußte, daß das nur durch das Medium eines Menschen möglich war. Ihm wollte ich mich widmen, Sorgfalt auf ihn verwenden wie auf ein köstliches Wesen, das zu meiner Gesundung, meinem Heile geschaffen war. Helene sollte einem jungfräulichen Spiegel gleichen, auf den ich die Strahlen der Erkenntnis sandte und sie konzentrisch, wärmend zurückempfing. Ich sah nicht, daß ich auf diese Weise mein Verbrechen noch steigerte, indem ich Liebe auf magische Art beschwor.
    Zunächst entwickelten sich die Dinge nach meinem Sinn. Ich räumte Helene die Führung meines kleinen Haushalts ein, in dem ich mich mit meinen Büchern und Studien beschäftigte. Vormittags fuhr ich nach Wannsee oder in das Zentrum und hielt von dort aus meine Operationen auf dem laufenden. Sie waren glücklicher denn je. Das Recht, von Glück zu reden, hatte ich freilich eingebüßt. Helene hielt mich für einen Bankbeamten mit gutem Einkommen. Ich ließ sie glauben, daß ich zwar nicht sparen, doch rechnen mußte; mein Reichtum hätte sie erschreckt. Ich suchte sie zu bilden, indem ich ihre Eigenart entwickelte. Bald sah ich, daß sie für Farben, Formen und Düfte, wie ich sie liebte, Geschmack gewann. Zuweilen fuhren wir in die Geschäfte und kauften Stoffe, Gläser, ein Möbelstück. Ich schenkte ihr Bücher, die ich aussuchte. Sonnabends besuchten wir ein Theater und aßen sonntags auswärts, bei schönem Wetter auf dem Land. Bei alledem hielt ich den Luxus ferne oder verbarg ihn unter gediegenen Verkleidungen. Ich las ihr die Wünsche von den Augen ab.
    So war es kein Wunder, daß mein Plan gelang. Ich hätte Helene gleich am ersten Abend besitzen können; wir hätten dann in häuslicher Vertraulichkeit gelebt. Statt dessen traten wir in ein geistiges Verhältnis ein. Ich merkte, wie sie sich immer fester mit sinnpflanzenhaften Wurzeln an mich heftete. Ich wurde ihr Liebhaber in dem Sinne, in dem man eine seltene Blume, ein erlesenes Kunstwerk hegt. Der Grund war jungfräulich; er brachte in immer schönerer Bildung Kristalle und Blütenflor hervor. Ich hatte das Schauspiel einer Seele, die sich erschließt und die geheimnisvoll im Wachstum an Macht gewinnt.
    Im Laufe eines kurzen Jahres wendete sich das Blatt. Ich wurde zum Beschenkten; die Früchte, die reiften, wurden zu schwer für mich. Helene wurde für mich die Quelle höheren Lebens; ich sah die Welt durch sie. Je mehr ich von ihr abhängig wurde, desto stärker kehrte die Furcht zurück. Und immer deutlicher erkannte ich, daß ich, indem ich die Chance beherrschte, mich in eine Glücksmaschine verwandelt hatte, in einen Automaten, in ein wertloses Nichts. Ich trug ein Wissen in mir, schlimmer als das des Mannes, der den Schatten verloren hatte, und ich hatte durch dieses Wissen einen Menschen an mich geknüpft. Im Augenblick, in dem er mich durchschaute, in dem er mein Geheimnis faßte, mußte Ekel, ja Entsetzen die Liebe ablösen. Schon schien es mir, als ob Helene mich zuweilen nachdenklich betrachtete; ich hielt es für möglich, daß sie den Trug, mit dem ich sie umgarnte, durch Ahnungskraft erriet.
    In diese Zeit fiel mein Zusammenbruch. Ich kam an eine der Wendemarken, die den Menschen, der sie erreicht, vernichten oder vor neue Entschlüsse stellen und die wohl jeder aus eigener Erfahrung kennt. Ein solcher Zusammenbruch kann physisch sein: seit langem spürten wir an kleinen Zeichen, daß in den Untergründen unserer Gesundheit sich eine

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