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Ein abenteuerliches Herz

Ein abenteuerliches Herz

Titel: Ein abenteuerliches Herz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Ludwig Arnold
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Veränderung vollzog. Wir sollten ausspannen, doch überhören wir die Warnungen. Dann plötzlich kommt der Schlag, der uns zu Boden wirft. Ganz ähnlich lassen wir vor dem geistigen Zusammenbruch die feinen Stimmen in unserem Innern unbeachtet, bis wir den Stoß empfangen, der das System als Ganzes aus den Angeln hebt. Es geht sogar oft eine Spanne besonderer Sicherheit dem Bankerott voraus. Und endlich gibt es den moralischen Zusammenbruch, der noch den Schlaganfall, den Wahnsinn an Schrecknis übertrifft. Hier wanken die Grundfesten.
    Ja, schauerlich ist die Begegnung mit dem Nichts. Mir wurde deutlich, daß ich mich von innen her entkernt, vernichtet hatte und daß der Reichtum mich trügerisch umgab wie jener feine Lack, mit dem man Mumien bestreicht. Und mich ergriff noch stärker als einst in meiner äußeren Verkommenheit ein ungeheurer Ekel vor mir selbst.
    Helene hielt mich für schwer erkrankt; sie suchte Ärzte auf. Ich wußte wohl, daß keine Medizin mir helfen konnte, vor allem nicht die Künste der Psychologen, die bei den Schlossern in die Lehre gegangen sind. Von solchen Scharlatanen ist unsere Welt bevölkert; sie treiben eher dem Dämon zu.
    Ich wollte beten, doch ich fühlte, daß mir der Mund versiegelt war. Scheußliche Wörter drängten sich hervor. Dem Häuschen gegenüber, am Stralauer Ufer, lag eine kleine Kirche; ich suchte den Geistlichen auf. Er kannte mich, da ich zu seinem Sprengel zählte und ihn hin und wieder mit Spenden bedacht hatte. Er empfing mich mit Hochachtung. Ich suchte ihm meine Lage zu erklären, doch merkte ich gleich, daß er mich nicht verstand. Mein Ansinnen beunruhigte, verwirrte ihn; er hielt mich ohne Zweifel für gestört. Er gab mir höfliche Worte wie einem Toren, den man sich auf gute Art vom Halse schaffen will; empfahl mir auch dringend einen Arzt.
    Ich nahm dann Zuflucht bei einem Kleriker der alten Kirche, in der die Kenntnis von den tieferen Umtrieben des Bösen noch nicht ganz erloschen ist. Er hörte mich aufmerksam an und wies mich dann mit Entsetzen fort.
    Oft war ich im Zentrum, um die Wohnung des Doktor Fancy zu erkunden, doch fand ich sie nicht mehr. Zuweilen dachte ich, daß alles auf Einbildung beruhe, auf wirren Träumen; das linderte nicht meinen Schmerz. Ich wußte, daß ich verloren war.
    In dieser Zeit begann ich wieder zu trinken; die Stunden des Rausches waren die einzig erträglichen. Sie glichen buntgewebten Zelten, die ich in der Wüste über meinem Haupt entfaltete. Helene brachte mir den Wein wie eine Krankenschwester die Medizin. Mein Anblick betrübte sie, jedoch sie fühlte, daß ich des Trunkes bedürftig war. Was hülfe es auch, daß man dem Unglücklichen die leere Nüchternheit verschreibt? Ihm ist der Rausch die letzte der Residenzen, der letzte Farbsaum an der Dunkelheit.
    Dann, spät nach Mitternacht, brach ich in jene Viertel auf, in denen das Leben nie erlischt. Ich spürte den Hang, mich in die Massen einzumischen, die beim Schein der bunten Lichter unruhig geschäftig sind. In jeder der großen Städte gibt es ein dunkles Zentrum, in dem das Böse residiert. Ich wurde von ihm angezogen; auch war es mir örtlich bekannt. Es lag an einem Schnittpunkt der Grenadierstraße. Hier stand um diese Stunde wohl jeder außer den Polizisten unter dem Einfluß des Trunkes oder der Droge: man traf nur Frauen, die käuflich waren, und Männer, die dem Verbrechen nachgingen. Ich kreiste rastlos in dieser Menge, die sich bald im rotbestrahlten Becken des Alexanderplatzes sammelte und bald zerstreute bis an die stillen Brücken über der Spree. Zuweilen mischte ich mich in eine der Gruppen, die sich um eine Verhaftung, ein betrunkenes Freudenmädchen oder einen dunklen Handel bildeten. Dann wieder trat ich in eines der Cafés, deren Wände von Spiegeln glänzten, und starrte dort gleich den anderen Gästen beim Klange eines mechanischen Orchesters vor mich hin. Der Anblick der Architekturen rief finstere Gedanken in mir wach.
    Wie früher beendete ich meine Gänge in großer Erschöpfung auf den Bahnhöfen. Es gibt Formen des Lebens, die jenseits von Reichtum und Armut uns auferlegt, uns zugemessen sind. Und wieder kam ein Morgen, an dem ich mich zwingend auf den Selbstmord verwiesen sah. Ich merkte nicht, daß ich am gleichen Platz wie damals saß. Wie immer um diese Stunde war ich stark berauscht. Zuweilen griff ich an meine Brusttasche; ich fühlte dort das Röhrchen mit dem starken Gifte, das ich bei mir trug. Die Nachricht vom jähen

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