Ein abenteuerliches Herz
von Jünger, zum großen Teil in Antiquariaten, auftreiben konnte. Als 1960 die erste Gesamtausgabe bei Klett erschien, subskribierte ich die bei der Karlsruher Buchhandlung Mende, deren liebenswürdiger Geschäftsführer, ein Herr Thomas, mir Ratenzahlung nach meinen Möglichkeiten einräumte. Da hatte ich aber schon mein Abitur und leistete gerade meinen Wehrdienst bei der Luftwaffe in Manching bei Ingolstadt.
Mit meinem Wehrdienst hing die dritte Anmutung zusammen, mit der ich mich Jünger angenähert habe. Am Totensonntag 1959, so meine Datumsangabe, hatte ich ihm einen langen Brief geschrieben, in dem ich ihn – gerade auch aus seinen Büchern, so wie ich sie damals las, dazu angeregt – um Rat bat: ob ich zur Bundeswehr gehen oder den Wehrdienst verweigern solle. Ich empfand mich nicht als Pazifisten, meinte aber, aus der Geschichte seien Lehren zu ziehen, dachte, auch Jünger habe aus seinen Kriegserfahrungen seine Lehren gezogen, und behauptete in jugendlicher Naivität: »Sie sind 1914 mit der Begeisterung des Abenteuer Suchenden und den Patriotismus Verteidigenden in den Krieg gezogen. Doch schon 1939, als der zweite Weltkrieg begann, sagten Sie sich – erfahren durch den 1. Weltkrieg – los vom Kriege. Sie haben im letzten Kriege keinen Menschen getötet, hätten es auch nicht getan – davon bin ich überzeugt –, wenn Sie nicht in den Stab nach Paris, sondern an die Front gekommen wären. Sie hätten sich dem Zwang des Befehls entzogen.«
Darauf antwortete Jünger mir nicht selbst. Doch seine Frau Gretha, die »Perpetua« seiner Tagebücher »Strahlungen«, deren Sohn Ernst im Zweiten Weltkrieg gefallen war, schrieb mir einen langen Brief, den ich hier nicht kürzen mag:
»1.12.1959.
Sehr geehrter Herr Arnold,
mein Mann hat mich gebeten, Ihren Brief zu beantworten, da ihm doch daran liegt, auf Ihre Fragen einzugehen. Er musste indessen nach München, und ist im Augenblick sehr beschäftigt. Nehmen Sie daher mit meinem Brief einstweilen vorlieb, in dem ich versuchen möchte, Ihnen seine Hinweise zu geben, die naturgemäss nur solche sein können, und nicht etwa bindend für Sie sind.
Die Fragen, die Sie beschäftigen, gelten für einen grossen Teil der jungen Generation. So lange aber die Welt besteht, hat es Kriege gegeben, und der letzte sah die damals Zwanzigjährigen vor ein ganz besonderes Problem gestellt: trotz ihrer inneren Ablehnung gegen das System an sich, gegen Hitler, gegen diesen Krieg, der unnötig, und vom Zaun gebrochen war, ihre Pflicht zu erfüllen gegenüber der Nation. Die Lage erforderte es, ihr konnte man sich nicht entziehen. Ich habe mit Vielen dieser Jungen damals gesprochen; unser eigener, 18jähriger Ältester, der dann gefallen ist, stand ganz besonders unter dem Druck dieser Situation, denn er war politischer Äußerungen wegen in Haft gewesen. Aber er zögerte keinen Augenblick, meldete sich sogar freiwillig an die Front, weil ihm das als seine Aufgabe erschien.
Wir stehen heute vor der Frage, ob wir Angesichts der russischen gigantischen Aufrüstung und absoluten Macht, uns in einem Ernstfall wehren wollen und können, oder nicht. Nehmen Sie ein einfaches Beispiel: wenn Sie durch einen Wald gehen müssen, der – wie Sie wissen – von Banditen besetzt ist, die bis an die Zähne bewaffnet sind: sichern Sie sich da durch einen Knüppel oder besser noch durch eine Pistole, oder verlassen Sie sich auf Ihr Glück! Hier kann jeder nur auf Grund seiner Mentalität antworten. Wir ziehen, in unserem persönlichen Falle, die Bewaffnung vor. Unsere Ansicht ist: je stärker wir sind, umso weniger werden wir bedroht werden. Darüber hinaus haben wir für die 17 Millionen in der Ostzone mitzudenken, die eine andere Haltung von uns überhaupt nicht verstehen könnten, denn sie wissen und erfahren es täglich, was es heißt, unter russischem Regime zu leben, machtlos, wehrlos, waffenlos.
Wenn Sie also Ihre Dienstpflicht erfüllen, so tun Sie nur das, was Millionen in allen Ländern der Welt auch tun. Man kann sich weder den Forderungen der Zeit, noch denen des eigenen Landes entziehen, und Euch Allen, den Jungen, möchten wir sagen: seht Euch die Ungarn an! Sie wissen noch, was das Wort Vaterland bedeutet. Behaltet es in Euch und bewahrt es mit. Alle übrigen Völker muss man hierum nicht erst mahnen, es ist für sie so selbstverständlich, wie es für uns fragwürdig geworden ist. Gottlob nicht für Alle. Der eigentliche Kern muss unangetastet bleiben, das sind wir nicht nur
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