Ein abenteuerliches Herz
uns, sondern auch den Toten beider Kriege schuldig, deren Sterben sonst sinnlos gewesen wäre. Verstehen Sie mich recht: Niemand ist wohl heute da, der einen Krieg bejahen könnte, nach den zahllosen Opfern, die gebracht wurden. Ebensowenig können wir ihn verhindern, wenn er dennoch ausbrechen sollte, denn nicht wir entscheiden darüber. Für uns kann es nur den Weg geben, den Europa und der Westen gehen, also sind wir Verbündete, also sind wir auch verpflichtet, unseren Anteil zu leisten in jeder Beziehung. Der Einzelne muss sich dem Ganzen einordnen, denn es geht um ein Gesamtschicksal, in das er unwiderruflich mit verflochten bleibt, ob er will oder nicht.
Zum Schluss muss ich Ihnen widersprechen, wenn Sie glauben, Ernst Jünger hätte im zweiten Weltkrieg nicht geschossen, wenn ihn die Umstände dazu gezwungen hätten. Vieles war anders als 1914, und damit auch die innere Voraussetzung, den Kampf zu bejahen. Aber er ist doch zu sehr Soldat im besten Sinne des Wortes gewesen, alsdass er das jemals hätte verleugnen können und wollen. Er hätte also an allen Kämpfen teilgenommen, so gut wie jeder Andere auch, wäre er nicht nach Paris, sondern an die Front gekommen.
Man kann es Bestimmung nennen, Schicksal, wohin wir gestellt werden: wenn wir nur immer an dem Ort, der dafür ausersehen wurde, unser Bestes leisten.
Glauben Sie im Ernst, dass jeder Soldat gern tötet? Sie gebrauchen dieses Wort. Dann fallen Sie gewissen Parolen und Schreckensmännern anheim, an denen es bei uns leider nicht fehlt. Sie müssen von ganz anderen Dingen ausgehen: der Stand des Soldaten ist ein Stand wie alle übrigen auch. Man muss ihn nicht lieben, aber man soll ihn achten. Inmitten eines Krieges kann sich der einzelne von ihnen nicht damit aufhalten, dass er sich die Frage stellt, ob das Töten erlaubt ist: wenn sie Alle so gedacht hätten, wäre nie ein Krieg entstanden. Mit Realitäten aber muss man sich abfinden, denn wir leben nicht in einer Wunsch-Welt. Im Kriege also gilt nur das Du oder Ich, und Sie werden schiessen, wenn Sie den Gewehrlauf des Anderen auf sich gerichtet sehen. Es gelten da andere Gesetze, man kann sie nicht auf unser ziviles Leben übertragen.
Damit glaube ich, Ihre hauptsächlichen Fragen beantwortet zu haben, wohlgemerkt, nur in unserem Sinne, so wie wir die Dinge sehen, so wie wir sie selber an uns erlebt haben. Wie weit Sie sich berufen fühlen, Ja oder Nein dazu zu sagen, weiss ich nicht, und möchte Sie darin auch nicht beeinflussen.
Gute Wünsche auf Ihren Weg, von uns Beiden: Ihre Gretha Jünger.«
Ich habe Gretha Jünger leider nie persönlich kennengelernt. Als ich am 20. August 1960 Ernst Jünger zum ersten Mal im Wilflinger Forsthaus besuchte, war sie schon so krank, dass sie keinen Besuch mehr empfangen konnte. Am 22. September schrieb Jünger: »Meine Frau ist immer noch krank; ich bin sehr melancholisch.« Am Totensonntag 1960 starb Gretha Jünger. Immer, wenn ich später in Wilflingen war, habe ich Blumen auf ihr Grab gelegt.
II. Besuche
Jünger hatte mich trotz der schweren Krankheit seiner Frau eingeladen, ihn an einem Nachmittag im August 1960 zu besuchen. Ich trampte von Ingolstadt, wo ich beim Aufklärungsgeschwader 51 am Militärflugplatz Manching meinen Wehrdienst leistete, über Ulm und Riedlingen nach Altheim und wanderte über Langenenslingen nach Wilflingen. Ein heißer Sommertag. Die Oberförsterei, in der Jünger seit 1951 bis zu seinem Tode 1998 lebte, gehört zum über 500 Jahre alten Schloss Wilflingen der Schenken von Stauffenberg; das schöne, behäbige Haus, in das man über eine beidseitig begehbare Steintreppe gelangt, liegt unmittelbar gegenüber dem Hauptzugang zum Schloss. Die Schelle schrillte durchs Haus, Resl, die Haushälterin, öffnete und führte mich die breite Holztreppe hoch in die Bibliothek. Jünger kam mir aus dem Arbeitszimmer, das neben der Bibliothek liegt, entgegen; ich fand ihn kleiner, als ich gedacht hatte, und sehr beweglich, fast elastisch, und ohne jede Allüre. Er bot Tee oder Kaffee an, Zigaretten – er rauche gerade wieder, aber immer nur für einige Zeit, wie er gleich sagte, und ja, er paffte nur. Peer Export. Meine große Schüchternheit, und eine gewisse Befangenheit wohl auch auf seiner Seite – small talk: Wie ich hergekommen sei, wo ich hier unterkomme, wie mir das Militär gefalle – Präliminarien.
Ich erinnere kaum mehr einen Zusammenhang unseres Gesprächs, wohl ein paar Einzelheiten unserer Unterhaltung, habe damals
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