Ein Akt der Gewalt
nachzuschauen, woher die Schreie gekommen sein können, die sie gehört hat. Dann sieht sie an sich hinunter und benutzt das Laken, um die Innenseiten ihrer Oberschenkel abzuwischen, von denen es tropft, wie man sehen kann.
Peter möchte sie bitten, das nicht zu tun – lieber einen Waschlappen zu benutzen, denn es sind Seidenlaken bester Qualität, und sie könnte sie ruinieren -, aber er verkneift es sich.
Jetzt ist nicht der richtige Augenblick.
Patrick sitzt nur da auf der Couch und sieht den Schnee auf dem grauen Bildschirm des Fernsehers tanzen, als er die Schreie hört. Einen Moment lang versucht er sich vorzustellen, dass er in Camouflage-Kampfanzug und Dschungelstiefeln, das Gewehr im Arm, auf der Ausschau nach Schlitzaugen durch ein Reisfeld watet, aber dann ist dieser Gedanke weggewischt, und etwas, das klingt wie der Klagelaut eines sterbenden Tieres, reißt ihn in die Realität zurück.
Er steht auf und tritt ans Wohnzimmerfenster.
Er sieht in diversen Wohnungen Licht angehen, sieht diverse menschliche Gestalten ans Fenster treten, manche allein, andere zu zweit nebeneinander. An einem Fenster sieht er eine Frau, einen Mann und ein kleines Kind, das sechs Jahre alt sein mag. Sie stehen zusammen wie auf einem Familienporträt.
Larry sagt zu Diane, dass er müde sei und einfach nur zu Bett gehen wolle. Könnten sie denn nicht am Morgen weiterreden
– der Mistkerl mit seinen Ausflüchten. Da ertönen die Schreie, und Diane vergisst den Streit, dreht sich zum Fenster um, geht hin, um besser sehen zu können.
Die Lichter im Hof ermöglichen es, selbst bei Nacht recht viel zu erkennen, aber Diane sieht nicht mehr als vier Bänke, ein paar Blumenbeete und Beton.
Einen Augenblick später steht Larry neben ihr.
»Was ist los?«, fragte er.
»Ich weiß nicht.«
»Hörte sich an wie Schreie.«
»Oder wie ein jaulender Hund.«
»Klang wie ein Mensch.«
»Bist du sicher?«
»Nein.«
»Ich finde, es klang wie das Jaulen eines Hundes.«
Thomas und Christopher gehen zusammen ans Wohnzimmerfenster, näher und näher, bis ihre Spiegelbilder und das Spiegelbild des Wohnzimmers um sie herum verschwinden und sie den Hof deutlich erkennen können, ohne durch sich selbst hindurchschauen zu müssen.
»Vielleicht sollten wir das Licht ausmachen«, sagt Christopher.
Aber keiner von beiden macht Anstalten, es zu tun.
»Ich geh mal fragen, ob Ron und Anne was gehört haben«, sagt Bettie, dreht sich weg vom Fenster und sieht Peter an, der geistesabwesend wirkt, so wie er da auf der Bettkante sitzt und vor sich hin starrt.
»Okay«, sagt er, ohne zu ihr aufzusehen.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«
Er nickt.
»Wirklich?«
Er sieht zu ihr auf und lächelt.
»Ja«, antwortet er dann. »Wirklich.«
»Also gut«, sagt sie und streichelt sein Gesicht. »Ich geh mal nachsehen.«
»Okay. Ich komm auch gleich nach.«
Sie tritt an die Tür, zieht sie auf und geht hinaus.
Im Wohnzimmer stehen Anne, Peters Frau, die in Betties Augen ein Schatz ist, und Ron, Betties Ehemann, vor dem Wohnzimmerfenster. Beide sind regungslos wie Statuen; sie stehen einfach nur da und sehen hinaus.
Bettie fragt: »Leute, habt ihr das gehört?«
»Hörte sich an wie Schreie«, sagt Ron, dreht sich um, als sie zu ihm kommt, und legt einen Arm um ihre Taille. Sein Körper fühlt sich warm und ein wenig klebrig an, und er riecht nach Sex. Das ganze Wohnzimmer riecht nach Sex. Bettie wirft einen Blick auf Anne, die einen dünnen rosa Morgenrock trägt, und sieht dann aus dem Fenster.
»Habt ihr was gesehen?«
Anne schüttelt den Kopf.
»Noch nicht«, sagt sie. »Aber, warte mal – da.«
Sie zeigt mit dem Finger.
»Ich glaube, ich seh auch was«, meint Bettie.
Peter kommt in zerknautschten Hosen und mit blassem bloßem Bauch aus dem Flur.
»Was ist denn?«, fragt er.
13
Kat kriecht aus dem Nachtdunkel, das sich über den Apartmentkomplex gelegt hat, und schafft es in den erleuchteten Hof. Sie zieht sich auf den Armen voran. Die Schürfwunden bluten auf den Beton unter ihr. Aber sie achtet nicht auf die Schmerzen in den Armen, sie will nur weg von dem Mann mit dem Messer.
Sie will nichts als weg.
Ihre Schulter kribbelt. Sie vermutet, dass er sie mit der Klinge verletzt hat. Sie spürt ein Brennen irgendwo hinter ihrer Achsel, und sie ist sicher, dass er sie verletzt hat.
Sie rappelt sich mühevoll auf, setzt die Füße zuerst flach auf den Boden und benutzt dann die Arme, um sich in die Höhe
Weitere Kostenlose Bücher