Ein Akt der Gewalt
Seite steht, wenn der Jüngste Tag gekommen ist. Lies das Alte Testament. Gott achtet nichts so sehr wie die Gewalt.« Sein Blick verlor sich einen Moment. »Lies das Alte Testament«, sagte er abermals und nahm einen kräftigen Schluck aus seiner Taschenflasche, der ihm unüberhörbar die Kehle hinunterrann.
Alan nickte, aber so ganz verstand er nicht.
Inzwischen tut er es jedoch.
Alan lenkt den Streifenwagen an den Straßenrand hinter einen Ford-F-100-Krankenwagen, der bereits vor Al’s Coffee Shop parkt. Der Fahrer sitzt und wartet auf seinen Kaffee und seine Donuts, mustert sich im Seitenspiegel und stochert mit einem Zündholzmäppchen zwischen den Zähnen. Hat wahrscheinlich seinen Partner reingeschickt, die Pausenverpflegung zu holen. Eine der Vergünstigungen, die man als Fahrer eines Krankenwagens genießt. Das und die paar Cent mehr an Stundenlohn.
Alan stößt seine Wagentür auf und steigt aus.
Er geht am Krankenwagen und an dessen Fahrer, der noch immer zwischen seinen gottverdammten Zähnen stochert, vorbei.
»Immer schön weitermachen mit den guten Taten«, sagt Alan im Vorübergehen.
Der Fahrer salutiert grinsend. Und dann, als Alan ein paar Schritte weiter ist: »Arschloch.«
»Ich habe das gehört.«
»Gut«, sagt der Kerl. »Dann weißt du jetzt ja, was ich von dir halte.«
Alan kämpft seinen Jähzorn nieder und wendet sich zähneknirschend vom Krankenwagen ab.
Als er das letzte Mal bei der Zahnreinigung war, hat ihn der Zahnarzt auf das Knirschen angesprochen. »Wenn Sie so weitermachen, werden Sie mit sechzig nur noch Stümpfe übrig haben.« Was Alan betrifft, reichen Stümpfe völlig aus – solange sie spitz und scharf sind und eine Kehle zerfetzen können.
Er stößt die Tür des Coffeeshops auf.
Duke steht hinter der Theke und versorgt einen Sanitäter, der Mitte bis Ende dreißig sein dürfte, mit zwei Bechern Kaffee. Der Bursche sieht aus, als hätte er seit zehn Jahren nicht mehr geschlafen. Augenringe wie prallvolle Schweinsblasen.
»Netten Freund hast du da draußen«, sagt Alan.
Der Sanitäter sieht ihn an, erwidert aber nichts.
»Sonst noch etwas?«, fragt Duke.
Obwohl der Laden Al’s Coffee Shop heißt, hat seit mindestens fünfzehn Jahren niemand namens Al hier gearbeitet. Duke ist der Besitzer und Betreiber. Alan hat ihn mal gefragt, wie er auf den Namen gekommen sei, und Duke hat ihm erklärt, als er damals, 49, hier eingestiegen sei, habe der Name draußen drangestanden, und er habe keinen Grund gesehen, ihn zu ändern – also hieß es Al’s, und bei Al’s blieb es auch.
Der Sanitäter studiert die Donuts in der Auslage.
»Hm«, sagt er. »Mal sehen.«
»Lass dir ruhig Zeit«, mault Alan. »Ist ja sonst niemand da, der wartet.«
Und dann heult eine Sirene los, und auf dem Krankenwagen draußen vor der Fensterscheibe blitzt kurz ein Warnlicht auf.
Der Bursche blickt über die Schulter, und dann sieht er Duke an. »Das wär’s dann wohl«, sagt er. »Was macht das?«
»Geht aufs Haus«, antwortet Duke. »Zieh schon los, Leben retten.«
»Danke. Sehr nett.«
Dann geht er zur Vordertür hinaus.
Alan sieht ihn auf der Beifahrerseite in den Krankenwagen springen, der sofort mit grell blitzendem Rotlicht und lautem Sirenengeheul losrast.
Als der Krankenwagen fort ist, wendet sich Alan an Duke. »Wie wär’s mit einem großen Kaffee, hm?«
»Nein danke«, sagt Duke. »Muss auf meine Pumpe achten.«
»Klugscheißer. Schenk mir einen ein.«
Duke dreht sich um, nimmt einen großen Pappbecher vom Stapel und gießt Kaffee ein.
»Donut?«
Alan schüttelt den Kopf. »Nachrichten für mich?«
»Dein Telefon hat geklingelt«, sagt Duke, »aber ich konnte nicht rangehen.«
»Konntest nicht?«
Duke nickt.
»Du konntest nicht rangehen?«
»Genau«, sagt Duke.
»Was war so wichtig, dass du nicht ans verdammte Telefon gehen konntest?«
»Musste mir gerade einen Braunen aus dem Kreuz drücken.«
»Was?«
»Ich saß beim Scheißen, Alan.«
»Kann nur hoffen, dass du dir hinterher die Flossen gewaschen hast.«
Alan fischt einen Dime aus dem Trinkgeldglas und verschwindet mit dem Kaffee in der Hand hinaus in die Nacht. Er steuert auf die Telefonzelle zu, von der aus er seine Geschäfte
abwickelt, aber jetzt drückt sich irgend so ein Kerl drin rum, kehrt den Rücken der offenen Schiebetür zu und flüstert hörbar von wegen: Du Schlampe, ich glaub es einfach nicht, dass du mit meinem Bruder vögelst, nach all dem, was ich für dich getan habe,
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