Ein Akt der Gewalt
tatsächlich entwickelt und wartet irgendwo auf einer Spule darauf, endlich gezeigt zu werden; oder es handelt sich nur um eine kleine Dose mit unentwickeltem Zelluloid. Nein, der Film ist entwickelt. Vielleicht
hat er es in Heimarbeit selbst gemacht, aber entwickelt ist er. Hier handelte es sich um einen Mann, der sich dessen sicher war, was er besaß – so sicher, dass er den Film wahrscheinlich wieder und wieder an eine Betonwand im Kellergeschoss projiziert hat.
Im Kellergeschoss.
Alan braucht nur wenige Augenblicke, um die Tür zu finden, und dann stapft er nach unten. Der Lichtschalter befindet sich am Fuß der Treppe an der Wand – man kann sich leicht den Hals brechen, wenn man ihn im Dunkeln sucht, denkt er -, und als er ihn betätigt, leuchtet eine nackte Glühbirne auf, die an einem altersschwachen braunen Kabel von der Decke hängt. Sie erhellt den Kellerraum. In einer Ecke sind Farbdosen gestapelt, an denen die diversen Farbtöne ihre Spuren hinterlassen haben. Randvolle Wäschekörbe stehen daneben und Kartons, auf denen Weihnachten zu lesen ist. Und da ist auch ein Projektor, der von mehreren Filmspulen umrahmt auf einem kleinen Kartentisch steht. Eine Spule ist bereits eingelegt, und das Objektiv ist, genau wie Alan es vermutet hat, auf eine Betonwand gerichtet.
Das angepeilte Wandstück hat man weiß getüncht, doch die Farbe ist verlaufen und ungleichmäßig verteilt.
Alan geht zum Projektor und schaltet ihn ein: An der Wand flammt ein Rechteck aus weißem Licht auf.
Er spielt den Film ab, und dabei sorgt der Projektor mit seinem Rattern für den Soundtrack zu den wiedergegebenen Geschehnissen. Man hat durch eine Fensterscheibe gefilmt. Die Farben sind seltsam grünlich und stumpf, und das Material ist bereits sehr zerkratzt, und daher vermutet Alan, dass Mr. Reynolds – Todd – den Film tatsächlich hier unten in einem Eimer entwickelt hat, statt es von einem Profi machen zu lassen. Vielleicht wollte er nicht, dass jemand anders mitbekam, worum es in dem Film ging. Hunderte
von Amateurpornographen haben dasselbe mit ihren Filmen gemacht. Aber trotz der Verfärbungen und Kratzer ist deutlich zu erkennen, was abläuft. Da sind Alan und Charlie, die aus einem Auto aussteigen und mit einem anderen Mann zusammentreffen: Big Fish, der zur Vordertür eines Sandsteingebäudes herauskommt. Oder wohl eher heraushumpelt, denn Alans Überzeugungskunst hat sich in jeder Beziehung als wirkungsvoll erwiesen. Big Fish zieht einen weißen Umschlag aus der Innentasche seines Jacketts und reicht ihn Alan. Alan öffnet den Umschlag, blättert die Geldscheine flüchtig durch und nickt. Dann gehen Charlie und er zurück zum Auto. Der Film läuft weiter, wacklig und aus der Hand aufgenommen, und zeigt, wie Alan und Charlie ihren Wagen anlassen und davonfahren, während Big Fish dasteht und ihnen nachschaut, bis sie außer Sichtweite sind, um ihnen schließlich den Finger zu zeigen, als er ganz sicher ist, dass sie ihn nicht mehr sehen können. Schließlich zeigt der Film noch, wie er sich umdreht und ins Sandsteinhaus zurückgeht. Aber der wichtigste Teil ist die Geldübergabe. Dann folgt ein Schnitt, und es flackern überbelichtete weiße Felder über die Wand, bis von neuem ein Bild erscheint. Die Front desselben Gebäudes. Big Fish händigt einem Spic etwas aus – auf jeden Fall kein Geld, sondern einen großen Umschlag voller kleiner Beutel. Der Latino nimmt wahllos einen von ihnen heraus, steckt einen kleinen Finger hinein und probiert. Dann nickt er. Die beiden unterhalten sich. Danach trennen sie sich und gehen aus dem Bild. Die Kamera wackelt und schwenkt herum. Ein verschwommener Todd grinst in die Linse und hebt beide Daumen. Dann endet der Film nach einigen weiteren gleißenden Weißbildern.
Alan greift sich die Spule und macht sich auf den Weg nach oben.
Dort, gleich neben der Küche, greift er zum zweiten Mal zum Telefon.
»Hallo«, flüstert er in den Hörer, da er die Familie nicht wecken will. »Geben Sie mir die Polizei. Ein Notfall.«
Bei der Polizei sagt er, sein Name sei Todd Reynolds. Er sagt, jemand versuche gerade, in sein Haus einzudringen, ein Neger sei dabei, bei ihm einzubrechen. Er nennt die Adresse. Er sagt: »Jetzt kommt er! Jetzt kommt er!« – und dann legt er ganz schnell auf. Mit einem selbstzufriedenen Lächeln.
Perfekt gemacht. Er hätte Schauspieler werden sollen. Polizisten könnte er im Fernsehen allemal spielen. Und mehr verdienen würde er dabei auch.
Auf dem Weg
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