Ein Akt der Gewalt
schwarzen Laufflächen. Was sich im Inneren des Wagens befindet, ist zur anderen Seite gerichtet.
»Ach, du Scheiße.«
Er sitzt da, den Fuß auf dem Bremspedal, die Hände ums Lenkrad gekrampft, während das Scheinwerferlicht einen demolierten Kinderwagen beleuchtet. Er nimmt beide Hände vom Lenkrad und umschließt es aufs Neue mit den Fingern. Es fühlt sich schmutzig an, schmutzig und heiß.
Er schließt die Augen und öffnet sie wieder.
Also gut, denkt er.
Er legt den Rückwärtsgang ein und setzt zurück, berührt den Bordstein, fährt vorwärts, richtet den Wagen aus und parkt. Dann stellt er den Motor ab.
Er steigt aus, und die kalte Luft trifft ihn wie ein Schlag. Im Inneren des Wagens war es fast zehn Grad wärmer, und er hatte nicht mal die Heizung angestellt. Er war einfach nervös, hat geschwitzt und den Innenraum mit seiner Körperwärme aufgeheizt. Als die kalte Luft ihn trifft, läuft ihm ein Schauder über den Rücken und lässt den Schweiß kalt werden, der sich auf seiner Haut gesammelt hat. Einen Moment steht er regungslos neben seinem Auto, und in diesem Moment erwägt er, einfach wieder in den Wagen zu steigen und davonzufahren, davonzufahren und keinen Blick zurückzuwerfen. Aber er tut es nicht; er könnte es gar nicht, auch wenn er kurz daran gedacht hat. Er könnte nicht damit leben. Er könnte nie wieder in den Spiegel sehen und dem Mann in die Augen blicken, der er zu sein glaubt. Er würde immer nur einen Feigling vor sich sehen.
Er entsinnt sich an etwas, das sein Dad ihm gesagt hat, bevor er starb. Alle mutigen Männer haben Angst, sagte er zu Frank – alle: Wenn ein Mann keine Angst vor etwas hat, vor dem sich normale Menschen fürchten, macht ihn das nicht zu einem mutigen Mann, sondern zu einem Dummkopf. Ein mutiger Mann ist der, der Furcht verspürt, aber trotzdem tut, was er tun muss. Wenn du keine Angst hast, sagte er zu Frank, bist du auch nicht mutig.
»Du hast Recht, Dad«, flüstert Frank in die Nacht.
Er nickt. Er nickt und macht den ersten Schritt auf den Kinderwagen zu. Es folgt ein zweiter Schritt und dann der dritte.
Als er das Gefährt erreicht hat, bleibt er stehen und streckt ein Bein aus. Aufs Schlimmste gefasst, zieht er mit seinem schwarzen Lederschuh den Kinderwagen näher zu sich heran. Als er einen Arm sieht, hält er inne.
»Oh, Gott«, sagt er.
Er beugt sich hinunter und dreht den Wagen mit den Händen zu sich, so dass er erkennen kann, was sich darin befindet. Ein rosa Bein. Der schlaff zur Seite hängende Kopf eines Babys.
Nein.
Er blinzelt.
Sein Herz schlägt so dumpf, dass er das Pochen hinter den Ohren spüren kann und an seinen Schläfen. Er merkt, dass er den Atem angehalten hat, und gibt die Luft frei. Er schluckt.
Und dann wird ihm klar, was er vor sich hat. Eine Puppe – eine Babypuppe, die im Kinderwagen angeschnallt ist. Fleischfarben, mit einem glasblauen Auge, das ihn fixiert. Wo das andere Auge hätte sein sollen, gähnt nur ein schwarzes Loch. Vielleicht hat irgendein Junge es mit den Zinken einer Gabel herausgebrochen, um es seiner Murmelsammlung einzuverleiben. Vielleicht ist die Puppe auch zu Boden gefallen, und das Auge hat sich gelöst und ist irgendwo hingerollt, wo es unauffindbar bleibt. So oder so – es ist weg.
Das schockierte Auflachen, das sich aus Franks Kehle löst, überrascht ihn so sehr, dass er tatsächlich um sich blickt, um festzustellen, woher es kommt.
Als ihm bewusstwird, dass es von ihm selbst stammt, lacht er noch einmal.
Nur so eine Scheißpuppe.
Der Kinderwagen hat wahrscheinlich fünf Jahre in einem Flurwandschrank gefristet, bevor ein kleines Mädchen ihn fand, ihre Puppe darin anschnallte und damit durch die Nachbarschaft schob, bis die Sonne hinter den Abendhorizont abtauchte und die Mutter ihre Tochter hereinrief, damit sie ihre Hühnerleber mit Erbsen und Kartoffelmus aß. Da ist der Kinderwagen dann auf der Straße stehen geblieben,
so dass Erin ihn in den dunklen Morgenstunden umfahren konnte, als sie nach einer langen Nachtschicht übermüdet nach Hause fuhr, in Gedanken noch bei den Vorkommnissen an ihrem Arbeitsplatz.
Frank steht auf, wobei er einen leichten Schwindelanfall spürt, der aber schnell vorbei ist, und geht zu seinem Wagen.
»Gott sei Dank«, sagt Erin ins Telefon. »Komm heim. Ich möchte, dass du mich in die Arme nimmst.«
Sie spürt, wie ihr die Knie den Dienst versagen, und lässt sich auf einen Stuhl fallen.
Sie wünscht sich, dass er zu Hause ist, ihr in
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