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Ein Akt der Gewalt

Ein Akt der Gewalt

Titel: Ein Akt der Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ryan David Jahn
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schändlich«, sagt Christopher, »weil man uns eingeredet hat, dass wir uns dafür schämen sollen.«
    »Vielleicht.«
    »Wie kann etwas, das niemandem wehtut, falsch sein?«
    »Ich hab kein gutes Gefühl dabei«, sagt Thomas. »Mir kommt es so vor, als hätten wir einen Fehler gemacht. Als hätte ich etwas Falsches getan.«
    »Weil man dir dein Leben lang eingeredet hat, dass es falsch ist«, sagt Christopher. »Deswegen kommst du dir schlecht vor, und weil du dich schlecht fühlst, glaubst du, dass es falsch sein muss. Aber wir haben doch nichts gestohlen. Wir haben niemandem wehgetan. Wir haben doch nur …« Er hustet in die Hand und wendet den Blick ab. »Weißt du«, sagt er, »in diesem Moment schicken wir Kids nach Vietnam, damit sie Menschen umbringen wegen irgendwelcher Ansichten. Wir schicken Jungs direkt aus der Highschool nach da drüben, damit sie Menschen, die uns niemals mit Gewalt bedroht haben, allein deswegen töten, weil wir der Überzeugung sind, dass sie die falschen Ansichten
haben.« Er lacht. »Und dann soll das, was du und ich heute Abend hier getan haben, schändlich sein?«
    »Ich weiß nicht, ob es so einfach ist.«
    »Vielleicht nicht«, sagt Christopher. »Aber du verstehst, worauf ich hinauswill.«
    »Das tu ich.«
    »Gut.«
    Dann streckt Christopher die Hand nach Thomas aus. Er berührt ihn nicht, sondern streckt die Hand aus und lässt sie dann auf die Matratze sinken. Dicht vor ihm.
    »Ich mag dich, Thomas«, sagt er.
    »Ich mag dich auch«, sagt Thomas.
    Dann sieht er auf und stellt wieder Blickkontakt her. Aber diesmal hält er ihn auch. Er nickt ebenso sich selbst zu, findet er, wie Christopher.
    »Ja«, sagt er.

25
    Die Uhr schlägt fünf. Die Kuh macht Muh.

26
    David sitzt hinten bei Mr. Vacanti, während John den Krankenwagen zur Notaufnahme fährt. Der bewusstlose Mr. Vacanti ist auf der Trage angeschnallt, und zwar sehr fest – natürlich nur zur eigenen Sicherheit.
    »Fahr mal langsamer.« David schreit, um den Lärm der Sirene zu übertönen.
    »Er hat innere Blutungen«, sagt John. »Er stirbt uns.«
    »Einen Scheiß wird er tun. Ich hab nämlich noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen.«
    »Dann beeil dich, denn ich fahr nicht langsamer.«
    David zerbricht eine Kapsel mit Riechsalz unter Mr. Vacantis Nase und sieht zu, wie sich das braune Papier um die Kapsel dunkel färbt und der Mann inhaliert, nach Luft ringt, hustet und die Augen öffnet, die kurz darauf in ihren Höhlen rotieren wie Kugeln in einem überreichlich geschmierten Lager. In seinem linken Auge sind Adern geplatzt, und es läuft voll Blut.
    Schließlich scheint er klarer zu sehen und blickt hinauf zu David. Dabei verdüstert Bestürzung seine Miene wie eine vorüberziehende dunkle Wolke.
    »Davey?«, sagt er zögernd. »Davey White?«
    »Inzwischen heißt es David.«
    »Was machst du denn hier?«
    »Falsche Frage, Mr. Vacanti.«
    »Wie?«

    Auf das Glasstück, das aus Mr. Vacantis Stirn ragt, tippt David mit zwei ausgestreckten Fingern wie auf eine Tischplatte, als wolle er damit eine Ansicht, die er gerade kundtut, unterstreichen. Der Mann winselt vor Schmerzen. Er will Davids Hand wegstoßen, kann sich aber nicht bewegen. David sieht Panik in den Augen seines Gegenübers aufflackern, als diesem klarwird, dass er angeschnallt ist. Fest angeschnallt. Er wirft einen kurzen Blick auf seine regungslosen Handgelenke und sieht dann David wieder an.
    »Was geht hier vor?«, fragt er. »Was machst du hier?«
    »Ich habe Ihnen doch schon gesagt, das ist die falsche Frage, Mr. Vacanti«, sagt David, und während er die letzte Silbe hervorpresst, tippt er nochmal auf das Glasstück. Ein neuerliches Winseln. »Die korrekte Frage lautet: Was machen Sie hier? Und die Antwort lautet: Sie hatten einen Autounfall. Ein Krankenwagen wurde gerufen. Und wie der Zufall es will, bin ich Unfallsanitäter geworden. Aber leider übersteigen die Verletzungen, die Sie sich zugezogen haben«, und dabei greift er nach der Glasscherbe und rüttelt ein wenig daran, »meine Möglichkeiten. Und was das Krankenhaus angeht … naja«, fügt er lachend hinzu, »sagen wir mal so, ich glaube nicht, dass Sie es bis dorthin schaffen.«
    David greift in die Gesäßtasche und zieht eine flache Flasche hervor. Er schraubt sie auf und nimmt einen Schluck. Es brennt in seiner Kehle, aber es tut gut. Auf den ersten Schluck lässt er einen zweiten folgen. Die Flüssigkeit wärmt seine Eingeweide. Es kommt ihm vor, als würde in seiner Brust eine

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