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Ein Akt der Gewalt

Ein Akt der Gewalt

Titel: Ein Akt der Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ryan David Jahn
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alle Energie, die dir noch bleibt. Du brauchst die ganze Energie, die noch in dir ist, also hör auf, hör jetzt auf. Du kannst später zusammenbrechen. Wenn du erst mal in Sicherheit bist. Du kannst dich ins warme Badewasser gleiten lassen, und dann darfst du zusammenklappen. Aber jetzt noch nicht. Jetzt musst du erst mal die Tür dort erreichen. Das schaffst du. Mach dir noch keine Gedanken, wie du den Türknauf drehen sollst, mach dir keine Gedanken, wie du es schaffen sollst, die Tür aufzustoßen. Schaff es einfach nur bis zu der Tür, Kat. Das kriegst du hin. Du bist stark, und du schaffst das.
    Babyleicht, babyleicht, sagt sie sich.
    Babyleicht.
    So leicht, wie einen Drink einzuschenken, sagt sie sich. Wie einen Reifen zu wechseln.
    Sie konzentriert sich auf die Schlüssel. Sie lässt sie nicht aus den Augen. Sie konzentriert sich auf die Schlüssel und streckt einen wunden Arm, von dem alle Haut abgeschürft ist, aus und zieht sich fünfzehn Zentimeter näher an die Tür. Fünfzehn Zentimeter dichter dran, denkt sie. Noch einen Meter fünfzig. Ich muss das nur noch zehnmal schaffen, denkt sie, dann bin ich da. Und dann schafft sie es wieder. Nur noch neunmal, denkt sie.
    Neunmal.
    Leicht erreichbares Ziel, denkt sie.
    Wie einen Drink einzuschenken.
    Dann hört sie von der Straße her ein Geräusch, das sie in Panik versetzt.

    Sie hört ein Auto an den Straßenrand fahren und anhalten. Sie möchte glauben, dass es Hilfe bringt. Sie möchte glauben, dass es jemand ist, der sie sieht und sagt, gütiger Gott, du armes Ding, du armes, armes Ding, was ist mit dir geschehen, lass mich dir helfen, aber so ist es nicht.
    Sie erkennt das rasselnde Motorgeräusch. Sie hat es schon einmal gehört. Hat es gehört, kaum dass der Mann, der sie überfallen hat, davongelaufen ist, nach draußen zur Straße. Es ist sein Auto. Er muss zurückgekommen sein.
    Sie sieht, wie sich das Scheinwerferlicht über die Eichen vor dem Gebäude ergießt.
    Jetzt keine Panik, denkt sie.
    Und dann schiebt sie ihren Arm nach vorn und zieht ihren Körper hinterher.
    Acht, denkt sie.
    Die Scheinwerfer erlöschen.
    Sie schiebt den anderen Arm nach vorn.
    Der Motor verstummt.
    Sieben, denkt sie.
    Eine Autotür öffnet sich knarrend, und sie hört Schuhe auf den Asphalt treten.
    Sechs, denkt sie.
    Keine Panik.
    Die Tür schlägt zu, und sie hört Schritte, die näher kommen.
    Fünf, denkt sie. Keine Panik.
    Fünf, denkt sie.

28
    Frank beobachtet im Seitenspiegel, wie uniformierte Polizistenbeine die Streifenwagentür umrunden und dann auf ihn zukommen. Der Polizeiwagen war ihm nur ein paar Hundert Meter gefolgt, bevor sein Warnlicht zuckte und der Cop ihn an die Seite winkte. Und dann selbst hielt. Sie standen minutenlang am Straßenrand, bevor der andere schließlich die Fahrertür seines Wagens aufstieß und ausstieg. Von Sekunde zu Sekunde wird Frank nervöser. Aber jetzt kommt der Cop näher, eine hell leuchtende Taschenlampe in Höhe seiner rechten Schulter haltend.
    Frank sitzt steif da, die Hände auf dem Lenkrad. Der Bulle bringt Ärger, ganz klar, und Frank will nicht, dass er später würde behaupten können, der Fahrer des Wagens habe nach irgendwas gegriffen, weshalb er hatte vermuten müssen, er sei im Besitz einer Waffe gewesen. Und dass Frank nur deswegen jetzt tot sei. Er weiß, dass es nicht ganz einleuchtend ist, aber das ist auch egal – wenn der Cop ihn niederschießen will oder sonst was mit ihm vorhat, dann wird er es einfach tun und sich dazu ausdenken, was immer er mag. Dennoch will Frank es darauf nicht ankommen lassen.
    Ein Brustkorb füllt das Fenster an Franks Fahrerseite aus. Der Lichtstrahl einer Taschenlampe scheint so grell herein, dass Frank nur eine gleißende Lichtexplosion wahrnimmt, als er versucht, den Cop anzusehen, der draußen vorm
Wagen steht. Es ist, als versuche man, jemanden zu erkennen, der die helle Sonne im Rücken hat.
    »Guten Morgen«, sagt der Cop.
    »Morgen, Officer. Stimmt was nicht?«
    »Sie wissen nicht, warum ich Sie angehalten habe?«
    »Sollte ich, Sir?«
    »Sie sind wohl’n ganz Schlauer, was?«
    »Nein, Sir, ich weiß nur nicht, warum Sie mich angehalten haben.«
    »Das hätten Sie gleich antworten sollen. Die Fragen stelle nämlich ich.«
    »Okay, Sir.«
    »Geben Sie mir Ihre Wagenschlüssel.«
    »Das ist keine Frage, Sir. Ich möchte nicht respektlos erscheinen, aber ich weiß nicht, wozu Sie meine Schlüssel brauchen.«
    »Und das brauchen Sie auch nicht zu

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