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Ein Akt der Gewalt

Ein Akt der Gewalt

Titel: Ein Akt der Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ryan David Jahn
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erwachsener Mann, der mehr von gutem Merlot versteht, als er je von Verbrennungsmotoren
wissen wird – quengelnd. Er kann nicht fassen, wie sehr er sich in diesem Moment hasst. »Bitte«, sagt er abermals.
    »Sie hat doch bereits gesagt, dass sie nicht interessiert ist an dem, was du zu bieten hast.«
    »Weil du hier sitzt, verflucht nochmal! Lass mich allein mit ihr reden.«
    »Ron«, sagt Bettie.
    Er sieht sie an.
    »Es ist okay.«
    »Bist du sicher?«
    Sie nickt.
    »Okay«, sagt Ron und steht auf. »Also schön.«

24
    Die Uhr auf dem Nachttisch zeigt an, dass es zehn vor fünf ist, aber weder Thomas noch Christopher haben das Zifferblatt im Blick. Christopher liegt bäuchlings auf der Matratze, und Thomas ist über ihm. In Schweiß gebadet hält er sich aufrecht, indem er sich mit einer Hand zwischen Christophers Schulterblättern abstützt. Beide Männer sind in diesem letzten Moment tonlos, bis auf die schnellen und kurzen Atemzüge von Thomas. Dann ist es vorüber.
    Thomas rollt von Christopher herunter, und das schlechte Gewissen überkommt ihn schon, bevor er auf dem Rücken liegt und dann an die Decke starrt.
    Christopher steht auf.
    »Ich wasch mich mal«, sagt er. »Bin gleich wieder da.«
    Thomas nickt, aber sucht keinen Blickkontakt. Er kann ihm nicht in die Augen sehen, nicht nach dem, was sie getan haben.
    Er starrt einfach nur an die Decke.
    Dort oben befindet sich ein gelber Wasserfleck, der ungefähr so aussieht wie die Kinderzeichnung von einer Mondsichel, und Thomas überlegt, wie er wohl dorthin gelangt ist. Rohrleitungen dürften sich da oben eigentlich nicht befinden. Direkt über ihm müsste ebenfalls ein Schlafzimmer sein. Vielleicht ist es ja ein Kinderzimmer und das Kind ist Bettnässer. Vielleicht haben seine Nachbarn oben eine Pflanze dort stehen, die ständig zu stark gegossen wird. Er
weiß es nicht. Ihm ist es letztlich auch egal. Es ist doch nur ein Fleck mehr in einer Welt voller Flecken.
    Thomas greift nach seinen Zigaretten auf dem Nachttisch, steckt sich eine zwischen die Lippen, zündet ein Streichholz an. Er hat schon immer den Geruch von Streichhölzern gemocht. Wenn er als kleiner Junge, so ungefähr mit zehn oder elf Jahren, volle Streichholzschachteln fand, zündete er ein Hölzchen nach dem anderen an, um den Schwefel zu riechen, der beim Aufflammen verzischt, und da seine Großmutter zwei Päckchen am Tag rauchte und außerdem vergesslich war, stieß er überall im Haus auf Streichholzschachteln.
    Außerdem fand er damals versteckte Gin- und Wermutflaschen, deren Inhalt er probierte. Da ihm aber sofort schlecht davon wurde, stellte er sie gleich wieder weg. Damals wusste er nicht, dass es für Grandma unmöglich war, den Alkohol auf legale Weise zu beschaffen, aber er wusste, dass sie ihre Drinks heimlich kippte, nachdem sie sich ein Gemisch aus beiden Flaschen in Saftbechern zubereitet hatte, wenn sie dachte, er sei nicht in der Nähe. Sie aß Oliven, während sie daran nippte, rauchte und ihre Radiosendungen hörte. Er hatte von der Prohibition gehört, natürlich – kannte zumindest das Wort -, aber erst sehr viel später brachte er es mit Grandmas Saftbecher-Drinks in Verbindung. Und als sie ihn ein oder zwei Jahre später oft allein zu Hause ließ und beim Heimkommen eine Fahne hatte, ahnte er genauso wenig, dass es mit Roosevelts Verabschiedung des Cullen-Harrison Act und dem plötzlichen Auftauchen öffentlicher Schankstätten zu tun hatte.
    Was er aber miteinander in Verbindung brachte, waren ihre Vergesslichkeit und ihre Trinkerei: Wenn er sie zum Beispiel um sein Taschengeld bat, nachdem sie drei oder vier intus hatte, stellte er fest, dass er schon am nächsten
Tag nochmal darum bitten konnte und es oft ein zweites Mal bekam.
    Er inhaliert tief und fühlt sich niedergeschlagen und verloren.
    Das hier hätte nicht geschehen dürfen.
    Thomas stemmt sich vom Bett hoch und sieht sich nach seiner Hose um. Er hat keine Ahnung, wo er sie gelassen hat. Schließlich entdeckt er ein zerknittertes Hosenbein, das unter dem Bett hervorlugt. Er zieht die Hose aus dem Dunkel, als wäre sie ein Tier, das zu flüchten versucht, schüttelt die Staubflocken ab, die sich auf dem Fußboden unter dem Bett an ihren Stoff geheftet haben, und schlüpft wieder hinein.
    Dann setzt er sich auf die Matratzenkante und raucht weiter.
    Nachdem er die erste Zigarette bis auf den Filter runtergeraucht hat, zündet er mit ihrer Glut eine neue an und drückt die Kippe in dem Glasaschenbecher

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