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Ein Akt der Gewalt

Ein Akt der Gewalt

Titel: Ein Akt der Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ryan David Jahn
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aus, der auf dem Nachttisch steht.
    Schon bald, zu bald, kommt Christopher aus dem Bad zurück. Außer einer Unterhose hat er nichts an. Thomas wünscht sich, er würde sich anziehen. Zumindest seine Hose. Thomas will seinen Körper nicht sehen; der erinnert ihn nur daran, was hier heute Abend geschehen ist.
    Er sieht ihm kurz ins Gesicht und wendet den Blick ab.
    »Vielleicht solltest du jetzt gehen«, sagt er.
    Christopher hält verdutzt inne und sieht Thomas an, der das spürt, sich aber weigert, den Blick zu erwidern.
    »Was?«, sagt Christopher.
    »Vielleicht solltest du jetzt gehen.«
    Christopher bleibt ziemlich lange regungslos stehen. Er sagt nichts, und er bewegt sich nicht. Jedenfalls geht er nicht weg.

    Dann sagt er schließlich: »Gibst du mir eine Zigarette?«
    Thomas nickt, aber macht keine Anstalten, ihm eine anzubieten.
    Christopher geht an den Nachttisch, löst eigenhändig eine Zigarette aus der Packung und steckt sie sich mit einem Zündholz an. Schwefelgeruch durchdringt die Luft. Dann steht er einfach nur da und sieht zu, wie das Zündholz zwischen seinen Fingern abbrennt. Als die Flamme seine Fingerspitzen erreicht, fasst er den Kopf des Streichholzes, der schon erloschen ist, aber noch heiß sein muss, und lässt die Flamme den Rest des kleinen Hölzchens verzehren. Als das ganze Streichholz verbrannt ist und keine Nahrung mehr für die Flamme bleibt, geht sie von allein aus, und Christopher lässt das Zündholz zu der Asche, den Zigarettenkippen und Fingernagelschnipseln in den Aschenbecher fallen.
    Thomas bemerkt, dass sich eine Menge Staub auf den Fußleisten gesammelt hat. Eine ziemliche Menge.
    Er fragt sich, wer als Erster das Wort Fußleiste benutzt hat.
    »Ich habe so was noch nie gemacht«, sagt er.
    Christopher zieht an seiner Zigarette und setzt sich neben ihn.
    »Bist du sauer auf mich?«
    Thomas schüttelt den Kopf.
    »Ich ekle mich vor mir selbst deswegen«, sagt er. »Es war ein Fehler, und ich ekle mich vor mir selbst.«
    »Warum?«
    »Warum was?«
    »Warum war es ein Fehler?«
    Thomas zuckt die Achseln.
    »Ich weiß nicht. Es war falsch.«
    Er sieht zu Christopher hinüber und sucht zum ersten Mal, seit der ins Schlafzimmer zurückgekommen ist, Blickkontakt
zu ihm. Doch es ist nur ein flüchtiger Blick, und beinahe noch im selben Moment wendet er sich ab und sieht wieder auf die Fußleisten. Es ist schon seltsam, dass ihm nie aufgefallen ist, was für ungeheure Staubfänger sie sind.
    »Ich habe mein Leben lang versucht, normal zu bleiben«, sagt er. »Habe mir eingeredet … ich weiß nicht … habe mir eingeredet, dass ich einfach nicht die richtige Frau gefunden hab. Dass ich …« Er schüttelt den Kopf. »Ich werde mich wohl aus dem Bowlingteam verabschieden müssen.«
    Er hätte schon gar nicht mehr am Leben sein sollen. Hätte er sich umgebracht wie geplant, wäre das hier nie geschehen. Er hätte in dem Augenblick abdrücken sollen, als er das Klopfen an der Tür hörte. Er hätte verflucht nochmal einfach abdrücken sollen. Christopher hätte vielleicht die Tür eingetreten und ihn gefunden, aber das hier wäre nie geschehen, und das wäre ja wenigstens etwas. Besser als das hier, besser als das, was er im Moment empfindet.
    »Wir haben nichts Falsches getan«, sagt Christopher.
    Thomas zieht an seiner Zigarette, schwenkt sie über dem Aschenbecher und schnippt dabei mit dem Daumen gegen den Filter, damit das aufgerauchte Ende hineinfällt. Seine Lungen brennen. Er betrachtet das Häufchen Asche und Kippen und Fingernagelschnipsel im Aschenbecher.
    Jemand sollte einen Fußleistenstaubwedel erfinden, etwas an einem langen Stock, damit die Leute sich nicht bücken mussten. Vielleicht gibt es das schon längst. Er müsste sich mal drum kümmern.
    »Thomas«, sagt Christopher.
    »Was?«
    »Wir haben nichts Falsches getan.«
    Thomas beißt sich einen kleinen Fetzen toter Haut von der Unterlippe, nimmt ihn mit der Zungenspitze auf und
spuckt ihn aus wie eine Maishülse. Er verfolgt nicht, wohin er fliegt.
    »Würdest du jemandem erzählen, was wir gemacht haben?«, fragt er.
    Christopher antwortet nicht sofort. Dann: »Nein.«
    »Warum nicht?«
    »Es würde Freundschaften zerstören«, sagt Christopher. »Es würde …« Er verstummt.
    Thomas nickt.
    »Es ist schändlich«, sagt er. »Wie kann etwas schändlich sein, aber nicht falsch?« Und dann beantwortet er die eigene Frage. »Das geht nicht.«
    Er zieht wieder an seiner Zigarette und sieht auf die Wand.
    »Es ist

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