Ein Akt der Gewalt
habe ich noch nie so einen Scheiß von dir gehört. Also will ich wetten, dass das, was der Typ dir angetan hat, etwas wirklich Ernstes war, und mir tut es verdammt leid, David. Glaub mir. Aber ich werde nicht helfen, ihn umzubringen. Das kommt nicht infrage.«
»Verstehst du denn nicht? Ich will ihn doch nicht umbringen. Ich will ihn nur nicht retten.«
»Das ist aber unser Job«, sagt John. »Jede Menge Leute machen ständig jede Menge Jobs, die sie verdammt nochmal nicht machen wollen.«
»Nicht wie das hier. Nein.«
»Du darfst ihn nicht umbringen.«
»Ich hab dir doch gesagt, ich will ihn nicht umbringen.«
»Ihn nicht zu retten, wenn du ihn retten könntest, ist der gleiche verfluchte Mist, und das weißt du. Es wäre Mord.
Und jetzt hör mir zu, David. Ich fahre diesen Wagen den ganzen beschissenen Weg zum Krankenhaus, ohne anzuhalten. Wenn du ein Problem mit dem Mann da hinten hast, dann werd allein damit fertig.«
David möchte, dass John versteht, möchte etwas sagen, damit er es einsieht, aber er weiß, dass nichts, was er sagen könnte, Johns Entscheidung ändern würde.
Er wendet sich von ihm ab und macht sich auf den Weg nach hinten.
»David«, sagte John.
David sieht ihn an.
»Tut mir leid.«
»Ja, ich weiß«, sagt David und geht nach hinten.
27
Da sie sich nicht auf den Beinen halten kann, kriecht Kat zu ihrer Wohnung. Es dürften kaum mehr als drei Meter sein, aber selbst diese kurze Entfernung erscheint ihr unüberwindlich. Sie friert und ist schwach. Sie hat sehr viel Blut verloren. Es hat überall auf dem Hof Flecken hinterlassen. Sie kann sich kaum bewegen – aber sie bewegt sich. Eine Hand vor die andere, ein abgeschürftes Knie vor das andere.
Babyleicht, babyleicht, beruhigt sie sich. Du bewegst deinen Arm fünfzehn Zentimeter vorwärts, presst ihn auf den Beton und ziehst dich dann vor. So leicht, wie einen Drink einzuschenken. Wie einen Reifen zu wechseln. Eine ganz einfache Sache – vollkommen simpel.
Sie kriecht durch die Dunkelheit des frühen Morgens und versucht, nur nicht die Besinnung zu verlieren, und sagt der Stimme, die sie zum Loslassen auffordert, die ihr einreden will aufzugeben, dass sie endlich still sein, einfach die Klappe halten soll.
Sie ist aber so laut, die Stimme.
Lass die Dunkelheit zu, sagt sie. Alles wird leichter werden. Es wird leichter sein, und später, wenn du aufwachst, wirst du vielleicht feststellen, dass alles nur ein böser Traum war.
Aber sie weiß, wenn sie loslässt, wenn sie aufgibt, wenn sie die Dunkelheit zulässt, wird sie nicht wieder erwachen.
Sie wird nie wieder die Augen öffnen. Sie wünschte, das wäre nicht wahr, aber es ist wahr, und das weiß sie.
Sie spürt immer noch, dass sie von Leuten beobachtet wird. Sie kann sie nicht mehr sehen – ihr Kopf ist nach unten gerichtet, und sie besitzt nicht die Kraft, auf etwas anderes zu blicken als die winzigen Kieselsteine, die in den Beton eingebettet sind, über den sie jetzt kriecht, winzige glatte Kiesel, die aussehen wie in einem Flussbett poliert -, aber sie kann sie spüren, diese Augen, diese Leute, von denen sie beobachtet wird. Sie geben keinen Laut von sich. Aber sie sind da. Und sie helfen nicht.
Sie robbt weitere fünfzehn Zentimeter vor. Sie wird nicht hier draußen sterben. Sie wird sich nicht gestatten, hier draußen zu sterben.
Indem sie einen Arm vor den anderen schiebt und dann ihren Körper über den kalten Beton hinterherschleift, indem sie sich auf ihren inzwischen völlig aufgescheuerten Armen voranzieht, schafft es Kat, ihrer Wohnung anderthalb Meter näher zu kommen. Es ist eine so mühselige und schmerzhafte Sisyphus-Arbeit, dass es ihr scheint, die letzten anderthalb Meter bis zur Eingangstür seien schwieriger zu bewältigen als die drei Meter zu Beginn.
Sie ist so müde. Ihr ist so kalt. Sie hat solche Schmerzen.
Aber sie sieht jetzt schon die Schlüssel. Sie kann sehen, dass sie vom Türknauf baumeln. Vom Knauf in der Tür – die geschlossen ist.
Wie soll es ihr gelingen, den Türknauf zu erreichen?
Ein Meter vom Boden, warum nicht gleich drei Meter – oder sechs?
Warum hatte der Wind die Tür auch zuschlagen lassen?
Warum wird sie von Gott gehasst?
Was hat sie getan?
Was hat sie getan, um das hier zu verdienen?
Ver. Dammter. Gott.
Ver. Dammter. Gott, warum hasst er sie?
Halt. Halt, sagt sie sich. Du kannst es dir nicht erlauben, nochmal völlig zusammenzubrechen: Es kostet dich zu viel Kraft und verzehrt deine Energie. Du brauchst
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