Ein Akt der Gewalt
kleine Flamme brennen.
»Was stimmt denn nicht mit mir?«, fragt Mr. Vacanti.
»Das hätten Sie sich schon vor Jahrzehnten fragen sollen.«
David genehmigt sich einen letzten Schluck aus der Flasche, bevor er den Deckel wieder zuschraubt und sie verstaut.
Sechsundzwanzig Jahre sind vergangen, ohne dass ihm dieser Scheißkerl über den Weg gelaufen ist, und jetzt liegt er da vor ihm. Sechsundzwanzig Jahre. Es war ihm beinahe schon gelungen, alles zu vergessen. Im letzten Jahrzehnt hat er höchstens ein- oder zweimal im Jahr an ihn denken müssen.
»Präventivmedizin, das wär’s gewesen«, sagt er. »Ich meine, wenn Sie sich damals gefragt hätten, was mit Ihnen nicht stimmte, und wenn es Ihnen gelungen wäre, Ihre Krankheit in den Griff zu bekommen, dann … ich schätze, dann würden Sie heute nicht sterben müssen, Mr. Vacanti.«
Mr. Vacanti versucht, sich aus den Riemen zu befreien, die ihn festhalten. Er müht sich, windet sich, reißt und zieht mit Gewalt, bis seine Hände lila angelaufen sind, er beißt die Zähne aufeinander, knurrt und grunzt, und sein Körper krampft und spannt sich, aber letzten Endes gibt er – gezwungenermaßen – auf.
»Du wirst dir das hier nie verzeihen können«, sagt er zu David.
David nickt.
»Das könnte stimmen«, bestätigt er. »Schließlich habe ich ja auch Ihnen nie verzeihen können. Schätze, ich gehör nicht zu der Sorte, die so leicht verzeiht, oder, Mr. Vacanti? Aber dafür bin ich auch kein Kinderschänder. Wir alle haben unsere Fehler, stimmt’s?«
Er wartet auf eine Antwort, aber Mr. Vacanti starrt nur ins Leere. Auch gut, denn was sollte der alte Dreckskerl schon dazu sagen können.
»Aber jetzt kommt’s«, fährt David fort. »Auch wenn ich mir selbst nicht verzeihen könnte, wäre ich doch in der Lage, mit mir selbst zu leben. Da bin ich sicher. Ich könnte mit mir selbst leben. Aber ich könnte nicht damit leben, Sie
mit dem davonkommen zu lassen, was Sie getan haben. Nicht, wenn sich mir heute diese Gelegenheit bietet.«
Er nickt.
»Ich wollte doch gar nicht …«, sagt Mr. Vacanti und verstummt.
»Aber Sie haben es getan «, faucht David ihn an. Dann lächelt er und kneift in Mr. Vacantis blutige Wange. »Mach einfach, was ich sage, und dann wird schon bald alles vorbei sein«, äfft er ihn nach. »Vielleicht tut es nicht mal weh.« Er kratzt sich das Kinn, wo einige Barthaare einwachsen. »Erinnern Sie sich daran, Mr. Vacanti?«
Nach einer Pause schüttelt sein Gegenüber den Kopf.
»Das war O-Ton«, sagt David. »Irgendeine Ahnung, wen ich zitiere?«
Ein Augenblick des Schweigens.
»Mich«, sagt Mr. Vacanti schließlich, aber sieht ihn dabei nicht an.
»Bingo«, sagt David und tippt zur Bekräftigung auf den Glassplitter, der aus Mr. Vacantis Kopf ragt. »Bing. Go. Gleich beim ersten Mal kapiert. Immer noch glasklarer Verstand. Sollte kein billiges Wortspiel sein …«, sagt er mit einem Blick auf die Scherbe in der Stirn. »Kein Wunder, dass Sie Lehrer sind. Kinder haben ja so viel, was sie lernen müssen, oder? Und Sie sind genau der Richtige, es ihnen beizubringen.«
Sie müssen schon in der Nähe des Krankenhauses sein. Etwas muss jetzt passieren. Sie dürfen nicht ankommen, nicht solange Mr. Vacanti noch einen Atemzug tut.
»Warten Sie hier«, sagt David zu dem angeschnallten Mr. Vacanti, bevor er im Fahrzeug nach vorn geht, wo John sich darauf konzentriert, zügig zu fahren.
»Hör mir zu«, sagt David. »Ich möchte, dass du anhältst.«
»Er wird verbluten«, sagt John. »Ich bringe ihn hin.«
»Du verstehst das nicht«, erwidert David.
»Ich versteh genug, um zu wissen, dass ich nicht anhalte.«
»Ich bitte dich als Freund«, sagt David. »Wir können doch einen Reifen aufschlitzen. Wir sagen, wir hatten einen Plattfuß. Scheiße, das kriegt doch nie jemand raus. Du brauchst nichts anderes zu tun, als einfach nur den Wagen anzuhalten. Den Rest erledige ich.« Er wischt sich mit Daumen und Zeigefinger über die Mundwinkel. »Niemand wird etwas erfahren«, sagt er nochmal.
»Aber ich werde es wissen«, sagt John. »Ich werde immer daran denken müssen, dass wir einen Mann umgebracht haben, dessen Leben zu retten unsere Aufgabe gewesen wäre. Ich weiß nicht, was du mit ihm erlebt hast, aber es raubt dir den Verstand, und damit will ich nichts zu tun haben.«
»Verdammt nochmal, John«, sagt David. »Wir sind doch Freunde. Ich bitte dich darum.«
»Wir sind Freunde. Und in den fünf Jahren, die wir miteinander arbeiten,
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