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Ein Akt der Gewalt

Ein Akt der Gewalt

Titel: Ein Akt der Gewalt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ryan David Jahn
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verstand, um sie selbst in die Hand zu nehmen. Er möchte ihr eingestehen, wie klein er sich vorkommt, wenn dergleichen geschieht. Wenn Typen wie Ron seinen Barhocker mit Beschlag belegen, kaum dass er mal austreten geht, einfach sein Bier beiseiteschieben. Und wenn er zurückkommt, verhalten sie sich, als sei er gar nicht da oder als belästige er sie, wenn er an ihnen vorbei nach seiner Bierflasche greift. Wenn Typen wie Larry von der anderen Hofseite vorbeikommen – zu Besuch sind, weil er ihn und seine Frau eingeladen hat, weil Peter schon immer einer von den Jungs sein wollte, obwohl er nie das Gefühl hatte, es zu sein, und es ihm immer so vorkam, als stünde er nur als Beobachter außerhalb, während
so einer wie Larry selbstverständlich zu den Jungs gehört -, und der kommt also zu Besuch und maßt sich an, ihn zu tadeln, er brate sein Steak nicht wie ein richtiger Mann. Wie ein richtiger Mann? Es ist meine gottverdammte Küche, und ich brate mir mein Steak, wie es mir gottverdammt nochmal passt, Larry, du Arsch, und wenn ich meinen verdammten Rotwein dazu trinken und Cranberrysoße dazu essen will, dann ist das ganz allein meine Sache.
    Er kann ihr nichts von alledem sagen, oder? Denn Männer dürfen nicht schwach sein. Männer dürfen nicht verwirrt sein. Männer dürfen sich nicht klein fühlen und allein und erbärmlich. Er kann es ihr nicht sagen, aber er muss ja etwas sagen. Er muss ihr etwas sagen, irgendetwas – alles, nur das nicht.
    »Anne«, sagt er.
    »Peter.«
    Er fährt sich mit der Zunge über die Lippen.
    »Anne«, sagt er nochmal.

35
    Kat liegt auf dem Rücken und kann das erste Morgenlicht am Himmel ahnen, denn die Sonne ist zwar noch nicht zu sehen, aber lässt doch von der anderen Seite des Horizonts die Nacht ausbleichen und den neuen Tag herandämmern. Das Licht offenbart, wie dunkel und hässlich die Wolken sind. Dunkel und hässlich und böse.
    Um den Himmel zu sehen, muss sie an dem schwitzenden Gesicht vorbeiblicken, das nur Zentimeter über ihr schwebt, zu einer Grimasse verzerrt, mit blutunterlaufenen Augen, kalt und abscheulich. Ihr Körper wird immer tiefer in das feuchte Erdreich gepresst, und sie kann das Ding des Mannes in sich spüren. Es ist, als ob es sie zerreißt, und sie weiß, dass sie inzwischen auch da unten blutet. Sie will, dass es vorbei ist. Sie will nur, dass es vorbei ist, und sie kann seinen heißen Atem auf dem Gesicht spüren – den Geruch nach Essen und Verdauung und einem fauligen Zahn.
    Mit beiden Händen hat der Mann ihre Schultern gepackt. Seine Finger graben sich in ihr Fleisch. Sie meint, einen davon in der Wunde zu spüren, die er mit dem Messer hinter dem Schlüsselbein in ihre rechte Schulter geschlitzt hat, aber inzwischen hat sie überall so grässliche Schmerzen, ist so kalt und wie betäubt und gleichzeitig vom Schmerz durchdrungen, dass sie sich nicht sicher sein kann. Sie ist sich allein der grauen Wolken sicher, die sich oben am Himmel
zusammenballen, und der blutunterlaufenen Augen des Mannes, der über ihr ist.
    Und der Hände, die ihre Schultern packen.
    Ihre Schultern packen, aber kein Messer umklammern.
    Das Messer. Mit den Rostflecken wie Sommersprossen.
    Irgendwo muss es sein.
    Vergiss, wo du bist, Kat, vergiss, wo du bist, und schließ die Augen und taste nach dem Messer, nach dem kalten Metall.
    Finde das Messer.
    Irgendwo muss es sein.
    Kat schließt die Augen, damit sie nicht in das Gesicht des Mannes blicken muss. Sie schließt die Augen und streckt die Hände aus, tastet nach dem Messer und betet zu Gott, dass sie es findet – bitte, lieber Gott, ich habe versucht, ein guter Mensch zu sein, und ich weiß nicht, warum du mich so strafst, aber ich habe doch versucht, gut zu sein, also bitte, bitte, bitte, warum lässt du mich nicht das Messer finden, bitte -, und sie fühlt die schwarze Erde, und sie kann den Dung in der Erde riechen, und dann berührt ihre Hand etwas, aber es ist nur der Stängel einer Blume. Und jetzt fühlt sie etwas anderes, meint zumindest, etwas anderes zu fühlen, und da sticht ihr auch schon die Messerspitze in den Finger – die Spitze des Messers und nicht der Dorn einer Rose. Niemals, denn Rosen gibt es hier gar nicht. Es tut ein bisschen weh, aber das spürt sie kaum, denn sie ist froh, weil es bedeutet, dass sie das Messer gefunden hat. Sie hat es gefunden. Gleich hier liegt es. Sie versucht, es zu ergreifen, aber schiebt es nur weiter weg. Sie schiebt es versehentlich weg oder gibt ihm einen

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