Ein Akt der Gewalt
wirft Frank über die Schulter einen selbstgefälligen und höhnischen Polizistenblick zu. An seinem rechten Ohr klebt verkrustetes Blut.
»Meinst du immer noch, du bist schlauer als ich?«
»Ich schätze, die meisten Zimmerpflanzen sind schlauer als Sie.«
Dieser Kerl wird tun, was er tun wird. Er tut es. In diesem Moment Respekt zu heucheln, hat keinen Sinn. Er wird
Frank etwas anhängen, ob er ihn mit Sir anspricht oder nicht. Also zum Teufel mit ihm.
Das gehässige Grinsen erlischt.
»Du hast deine Lektion noch immer nicht gelernt, was?«
»Ich habe einen Menge Lektionen gelernt, mein Sohn«, sagt Frank. »Ich bin kein junger Mann mehr.«
»Und ich bin nicht dein Sohn.«
Kees dreht sich nach vorn, startet den Streifenwagen, legt den Gang ein. Dann schiebt er den Hebel doch in die Parkstellung und blickt über die Schulter nach hinten.
»Wenn du so schlau bist, wieso sitzt du dann in Handschellen hinten in meinem Streifenwagen?«
»Über mich habe ich nichts gesagt«, antwortet Frank. »Ich hab gesagt, dass Sie ein Idiot sind. Jeden, der sich für unantastbar hält, trifft der härteste Schlag, denn er ist nicht auf der Hut, wenn es ernst wird.«
Kees macht ein Gesicht, als sei er gezwungen, eine Zitrone auszulutschen, und dreht sich wieder nach vorn. Er fährt an und lenkt den Wagen auf die Straße.
»Du hast doch keine Scheißahnung«, beschimpft ihn Kees. »Du hältst dich für schlau, aber das bist du nicht.« Er betrachtet Frank im Rückspiegel, und Frank erwidert den Blick. »Ich werd dir sagen, wie’s in dieser Welt zugeht, alter Mann. In dieser Welt«, sagt er, »bist du entweder das Gebiss oder die Kehle, die es zerfleischt. Dazwischen gibt’s nichts.«
Frank denkt, dass Kees vielleicht grundsätzlich Recht hat. Aber es gibt doch immer ein Gebiss, das größer ist, oder? Das hat der Cop vielleicht noch nicht kapiert. Der Seehund mag die kleinen Fische fressen – aber der Hai frisst den Seehund. Das hat Frank gelernt. Er hat es gelernt, weil er so oft in seinem Leben gebissen wurde. Und jetzt hat ihn wieder jemand zwischen den Zähnen. Er kann nur hoffen, dass dieser Angriff nicht sein Ende bedeutet. Er würde seine
Frau gern wiedersehen, ohne durch Gitterstäbe von ihr getrennt zu sein.
Der Streifenwagen fährt an der Revierwache vor und hält. Kees steigt aus, geht nach hinten, öffnet die Tür und versucht, Frank herauszuzerren. Frank ist jedoch ein großer und kräftiger Mann, so dass die Hand des Polizisten einfach an Franks T-Shirt abrutscht.
Frank sieht zu dem Mann empor.
»Steig aus«, kommandiert Kees.
Frank gehorcht und steigt aus, und Kees stößt ihn in Richtung Revierwache. Auf dem Weg wirft Frank einen Blick über die Schulter und stellt fest, dass der Cop die Selbstzufriedenheit von jemandem zur Schau stellt, dem ein dicker Fisch ins Netz gegangen ist. Frank ballt die Fäuste hinter dem Rücken.
Er wird von Kees nach drinnen geschubst.
Jetzt überlegt er angestrengt, wie er sich aus diesem Schlamassel herausmanövrieren kann. Der Typ hat ihm genügend getürkte Beweise untergeschoben, um ihn schuldig erscheinen zu lassen, was auch immer er sagt. Er will nicht ins Gefängnis. Wenn er hinter Schloss und Riegel gehen müsste, um Erin dasselbe Schicksal zu ersparen, wenn das der Fall wäre, würde er freiwillig gehen. Es würde ihm nicht gefallen, doch er würde es tun. Aber es ist eben nicht der Fall. Erin hat niemanden getötet. Sie hat nur mit dem Auto das Spielzeug eines Kindes überfahren – einen Kinderwagen, in dem eine Puppe lag. Das ist alles. Und kein Verbrechen. Er will nicht ins Gefängnis gehen, aber er hat auch keine Ahnung, wie er aus der Sache herauskommen soll. Entschlossen hat er sich jedenfalls schon jetzt, dass er beim Verhör nicht einen Ton sagen wird. Es könnte sein, dass er
schon zu viel geredet hat. Er wird nicht reden, weil er den Cops nicht erzählen will, warum er überhaupt unterwegs gewesen ist. Auch wenn kein Baby in einem Kinderwagen überfahren und getötet worden ist. Er will es ihnen nicht sagen und wird es auch nicht tun. Er will ihnen gar nichts sagen. Er kennt die Cops. Sie schaffen es spielend, harmlose Aussagen in einen Zusammenhang zu bringen, der sie übel klingen lässt – in einen Zusammenhang, der Geschworene dazu bewegen kann, einen Menschen zu verurteilen. Besonders einen Farbigen. Frank würde vielleicht ins Gefängnis gehen, aber er will verdammt nochmal diesem Mistkerl nicht auch noch behilflich sein, ihn dorthin
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