Ein Akt der Gewalt
zu schicken.
Als Kees Frank ruppig durch das Revier bugsiert, tritt ein älterer Mann in einem billigen Anzug, der an den Ellbogen schon verschlissen ist – sein Gesicht scheint aus Falten gestrickt zu sein, sein graues Haar wirkt schwer und platt und ungesund und spröde, seine Nase ist ein Schlachtfeld aufgeplatzter Äderchen und dazu von Mitessern übersät -, Kees in den Weg und hält ihn unsanft am Arm fest.
»Machen wir einen Spaziergang in mein Büro«, sagt der Mann.
»Bei allem gebotenen Respekt, Sir«, sagt Kees, und aus seinem Ton ist zu schließen, dass das Maß an gebotenem Respekt mehr als dürftig ist. »Ich habe einen Verdächtigen in Gewahrsam.«
Sir, denkt Frank, trotz dieses Tons. Sir: jemand Wichtigeres als er – jemand mit größeren Zähnen.
»Habe ich Sie danach gefragt, was Sie gerade tun?«, sagt der Mann im Anzug. »Hab ich das? Ich erinnere mich jedenfalls nicht daran.«
»Nein, Sir.«
»Wenn ich nicht danach gefragt habe, wieso erzählen Sie es mir?«
»Ich will ja nur sagen, Sir«, antwortet Kees, und jetzt ist ein Zögern in seiner Stimme, »dass ich denke … unsere Unterhaltung … kann warten?«
»Was Sie denken, Officer Kees, interessiert mich aber einen Scheißdreck. Was Sie denken, ist unerheblich. Es kommt darauf an, was ich denke. Hier herrscht Hierarchie, und Ihr Platz ist ganz unten, verstanden?«
Lange Zeit sagt Kees nichts. Dann: »Ja, Sir.« Dann: »Was soll ich mit dem Verdächtigen machen, Sir?«
Der Typ im Anzug sieht Frank an und nickt ihm zu.
Frank nickt zurück.
»Mr. Riva«, sagt der Typ im Anzug, »kann mit in mein Büro kommen und sich zu uns gesellen.«
Jetzt wird Kees zuerst blass und dann leicht grün im Gesicht.
Offenbar ist das hier nicht die Standardvorgehensweise, denkt Frank.
»Sir?«
»Gehen wir.«
Frank wird in einen kleinen Raum geführt, der nach feuchtem Putz, Schimmel und ausgeschwitztem Whiskey riecht. Ein graviertes Messingschild auf Walnussholz, das auf dem Schreibtisch steht, verrät ihm, dass der Typ im Anzug den Namen Captain Busey trägt. Wie praktisch, denkt Frank, dass seine Mutter ihn gleich Captain genannt hat.
Es befindet sich noch ein weiterer Mann im Zimmer. Um den Kopf einen Mullverband, sitzt er mit dem Rücken zur Tür vorm Schreibtisch. Blut ist durch den Mull gesickert und burgunderfarben eingetrocknet.
Busey greift in seine Tasche, holt einen Schlüsselbund hervor und schließt Franks Handschellen auf.
»Sir«, sagt Kees.
»Nein.« Dann sieht Busey Frank an. »Nehmen Sie Platz, Mr. Riva.«
Frank nickt.
»Danke, Sir.«
Er geht zu einem Stuhl links von dem Mann mit dem Kopfverband. Der Mann wirft ihm aus dem Augenwinkel einen Blick zu und bedenkt ihn zur Begrüßung mit einem Kopfnicken. Frank nickt zurück und registriert, dass der arme Schlucker viel schlimmer zugerichtet wurde als er. Sein Kopf ist rundherum mit Mull umwickelt, und die untere linke Gesichtshälfte besteht nur noch aus einer enorm großen lila Platzwunde, aus der eine dickflüssige, durchsichtige Substanz sickert, die in Konsistenz und Farbe dem Aloesaft ähnelt. Rote Fäden scheinen darin zu schwimmen wie im Gallert eines befruchteten Hühnereis. Sein Mund ist leicht geöffnet, und Frank kann sehen, was von seinen Zähnen übrig ist: Kleine gezackte Stummel ragen aus dem blutigen Zahnfleisch wie Glassplitter aus einem Fensterrahmen, nachdem die Scheibe zerborsten ist. Ein wenig Blut tropft über die Zahnstumpen aus seinem Mund. Der Mann gibt ein Schlürfgeräusch von sich, und das Blut ist verschwunden.
Gott, zerbrich ihre Zähne in ihrem Maul.
Frank wendet den Blick ab.
Hinter ihm sagt Kees: »Was geht hier vor, Sir?«
»Sie meinen, warum ich hier bin statt zu Hause in meinem Bett, gemütlich unter meinen Decken neben dem warmen Körper meiner Frau? Warum stellen Sie diese Frage nicht Mr. Reynolds, Kees? Der kennt die Antwort bestimmt besser als ich.«
Frank blickt über die Schulter zu Kees, der inzwischen noch elender aussieht und unverwandt auf den verbundenen
Kopf des Mannes neben Frank starrt. Frank meint erkennen zu können, wie die Gedanken unter der Schädeldecke des Cops rotieren.
»Ich weiß nicht, was Ihnen dieser Mann erzählt hat, Sir, aber was es auch ist – es stimmt nicht.«
»Sie wissen nicht, was er gesagt hat, aber es ist gelogen?« Busey schüttelt den Kopf. »Setzen Sie sich, Officer Kees.«
»Sir.«
»Sie sollen sich setzen, verdammt!«
Kees antwortet nicht, weil er offenbar annimmt, die Zeit
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