Ein Akt der Gewalt
»Ich fürchte das Leben nicht«, sagt er. »Da irrst du dich, Momma, ich habe keine Angst vor der Welt.«
»Wovor hast du denn Angst?«
»Ich fürchte mich davor …« Er muss schlucken und auf seine Socken schauen, um es herauszubringen. Sie versteht das: Manchmal muss man allein sein, um sich etwas einzugestehen – besonders, wenn man es laut aussprechen soll. »Ich fürchte mich davor, so zu werden wie er.«
»Wie dein Vater.«
Patrick nickt.
»Dein Vater war kein guter Dad«, sagt Harriette. »Er war kein guter Ehemann. Aber ein schlechter Mensch war er nicht.«
»Er … hat mir wehgetan«, sagt Patrick. Er sieht zur Seite, blinzelt, und Harriette bricht es das Herz, weil sie ahnt, wie sehr er leidet. Aber dann ist es vorüber. Er schluckt, und die Qualen sind vorüber, ersetzt durch Gefühlskälte und noch etwas anderes.
Und da weiß sie genau – als er sie mit diesem kalten Blick ansieht -, dass die Welt in Patrick zweifellos denselben Zorn wecken wird, den sein Vater in sich trug, dass Patrick nicht dulden wird, verletzt zu werden, so dass alle Verletzungen nur zu Verbitterung führen, aus der dann etwas Schlimmeres erwächst.
»Ich nehme deine Pillen mit, damit du keine Dummheiten machst«, sagt er ohne Emotion. »Schlaf ein bisschen.«
34
Peter sitzt auf der Couch, gegenüber von Bettie. Er neigt den Boden seines Whiskeyglases zur Decke und lässt den Rest Whiskey und Wasser und geschmolzenes Eis die Kehle hinunterrinnen. Ein nur halb geschmolzener Würfel fällt ihm in den Mund und klackert gegen seine amalgamgefüllten Backenzähne. Er spuckt ihn ins Glas zurück und stellt es auf den Untersetzer auf dem Couchtisch. Er starrt darauf. Er denkt an den Kondenswasserring im Schlafzimmer. Er versteht nicht, wieso er an den Scheißring denken kann, während sein ganzes Leben aus den Fugen gerät, aber er kann es – und tut es. Er sollte sich mit Möbelpolitur daranmachen. Und er muss außerdem den Whiskey aus dem Teppich schrubben.
Er führt die rechte Hand ans Gesicht, wischt die Mundwinkel mit Zeigefinger und Daumen aus und zieht die Hand wieder zurück.
Er steht auf und setzt sich und steht wieder auf.
»Ich muss mit Anne reden.«
Bettie nickt.
»Das solltest du tun.«
»Ich gehe jetzt und rede mit Anne.«
Er dreht sich um und entfernt sich von Bettie. Sie ist sehr schön – und, wie er findet, sexy auf dieselbe Weise, wie Elizabeth Taylor sexy ist -, aber er kann nicht glauben, dass er ihretwegen seine Ehe aufs Spiel gesetzt hat, obwohl er
doch so gut wie gar nichts von ihr weiß. Was sie mag und was nicht. Ob sie an den Wochenenden lange schläft und bis zum Mittag nichts tut oder ob sie in der Früh schon hellwach ist und aus dem Haus möchte, sobald die Sonne aufgeht. Wie sie am liebsten ihre Abende verbringt. Welche Bücher sie liest. Ob sie überhaupt Bücher liest. Er kann nicht glauben, dass er so dumm hat sein können, seine Ehe wegen einer Fremden mit hübschen Brüsten und vollen Lippen zu gefährden.
Er fasst den Türknauf, dreht ihn und stößt die Tür zum Schlafzimmer auf.
Als sie sich öffnet, halten Ron und Anne inne, und für einen Moment hat es den Anschein, als seien sie zu Stein erstarrt. Sie liegt rücklings auf dem Bett, den Hintern am Matratzenrand. Ron steht mit leicht gebeugten Knien vor ihr, und Annes Fersen haben sich über seine Schultern gehakt. Er ist in sie eingedrungen. Wäre es nicht so verdammt unerfreulich, man könnte es einen komischen Anblick nennen. Aber für Peter ist es das nicht, nicht in diesem Moment. Er steht kurz davor, diese Frau zu verlieren, seine Ehefrau, und da ist ein Mann, der Mann, der seiner Ansicht nach alles ins Rollen gebracht hat, der größer ist als er, der besser aussieht, der bestimmt mit jeder Autopanne fertigwird, der über mehr Selbstvertrauen zu verfügen scheint und sich besser im Griff hat, obwohl sich Peter doch immens anstrengt, sich zusammenzureißen, den Anschein zu erwecken, als sei er Herr der Lage, und Zuversicht auszustrahlen – da ist dieser Schweinepriester, von dem er in der Highschool wahrscheinlich Prügel kassiert hätte, und ausgerechnet der hat seinen Schwanz in Peters Frau versenkt.
Ron löst sich von Anne, und sie setzt sich auf.
»Peter«, sagt sie.
»Dich Scheißkerl bring ich um«, droht Peter. Speichel fliegt von seinen Lippen, Zorn lässt ihn tiefrot anlaufen, seine Brust schmerzt, so heftig schlägt sein Herz, und er möchte am liebsten explodieren wie eine Bombe. Er springt Ron an, rammt
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