Ein allzu schönes Mädchen
er.
Marthaler verneinte. «Nicht mit uns. Nicht mit unserer Arbeit. Ich glaube zwar, dass wir Fehler gemacht haben. Aber keine
entscheidenden. Ich bin nur einfach ratlos. Ich weiß nicht, wie wir weitermachen sollen. Noch heute Morgen hatte ich den Eindruck,
dass neuer Schwung in unsere Ermittlungen gekommen war. Jetzt sind die Aufgaben verteilt, und wir können wieder nur abwarten.
Und das in einem Fall, von dem wir |307| nicht wissen, wie er sich entwickelt. Ob nicht noch mehr schreckliche Dinge passieren. Ich habe das Gefühl, dass wir schnell
handeln müssen und dass wir gleichzeitig verurteilt sind zu warten. Es gibt wohl keine unbefriedigendere Situation in unserem
Beruf.»
«Mir reicht es für heute», sagte Schilling und wischte sich mit dem Handrücken den Milchschaum vom Mund. «Ich fahre zurück
ins Präsidium. Willst du mitkommen? Ich muss nur noch rasch die Tassen abwaschen.»
«Lass mich das machen», sagte Marthaler. «Ruf du doch bitte diesen Schneider an und sag ihm, dass er wieder in seinen Garten
kann. Dann fahren wir gemeinsam.»
Sie brauchten lange. Es war Freitagnachmittag. Der Verkehr verstopfte die Straßen. Viele Bewohner der Umgebung nutzten den
Beginn des Wochenendes, um in Frankfurt einzukaufen. Darüber hinaus fand im Waldstadion eine Sportveranstaltung statt. Schon
auf der Mörfelder Landstraße kamen sie kaum noch weiter. Um die Friedensbrücke zu überqueren, benötigten sie mehr als eine
Viertelstunde.
«Das geht nicht mehr lange so weiter», sagte Marthaler. «Die Verkehrsplaner müssen sich etwas einfallen lassen. Eine Stadt,
die nur von Autos beherrscht wird, noch dazu von Autos, die nicht vorankommen, verliert auf Dauer jede Lebensqualität.»
Er fragte Schilling, ob sie noch gemeinsam etwas essen wollten. Aber der Chef der Spurensicherung lehnte ab. Er war am Abend
bei seiner Schwester zum Geburtstag eingeladen.
«Sie kocht phantastisch», sagte Schilling. «Bestimmt gibt es eine Geflügelleberpastete mit Portweingelee. Die macht sie immer,
wenn sie mich einlädt. Und sie wäre sicher zutiefst beleidigt, wenn ich nicht wie ein hungriger Wolf darüber herfalle.»
|308| Einen Moment lang war Marthaler neidisch. Manchmal wünschte auch er sich, wenigstens ein paar Verwandte in der Nähe zu haben,
mit denen er sich von Zeit zu Zeit einmal treffen konnte.
«Wir haben ihn übrigens entlassen.»
Marthaler wusste nicht, von was Schilling sprach. «Ihr habt
wen
entlassen?»
«Den Laboranten, der die Fotos verkauft hat.»
Marthaler nickte beifällig. «Das ist gut», sagte er. «Ich bin sehr dafür, dass man Fehler verzeiht. Aber solche Typen haben
bei uns nichts zu suchen.»
Als sie auf den Hof des Präsidiums fuhren, winkte ihnen der Hausmeister zu. Marthaler drehte die Scheibe herunter.
«Ist Ihnen nicht ein Fahrrad gestohlen worden?», fragte der Mann.
Marthaler nickte. «Allerdings. Und zwar hier. Unter den Augen von viereinhalbtausend Polizisten.»
«Kommen Sie, ich zeige Ihnen was.»
Marthaler stieg aus und folgte dem Hausmeister. Der führte ihn zu einem kleinen Verschlag neben seiner Werkstatt. Er zeigte
auf die Überrreste eines Fahrrads. Marthaler stutzte. Dann erkannte er sein Rad. Es fehlten der Sattel und das Vorderrad.
Der hintere Reifen hatte einen Plattfuß, und das Plastik des Vorderlichts war zerbrochen.
«Ja. Das gehört mir. Wo haben Sie es gefunden?»
«Ich habe es nicht gefunden. Es stand einfach hier. Vor der Werkstatt.»
«Heißt das, jemand stiehlt ein neues Fahrrad vom Hof des Polizeipräsidiums, zerstört es und bringt es dann zurück? Etwas so
Dreistes ist mir noch nie begegnet. Da will uns jemand verhöhnen.»
Der Hausmeister zuckte nur mit den Schultern.
«Es sieht schlimmer aus, als es ist», sagte er. «Wenn Sie |309| wollen, kümmere ich mich darum. Eine Reparatur lohnt sich auf jeden Fall. Es ist ein sehr schönes Rad. Das kriegen wir schon
wieder hin. In ein paar Tagen können Sie es abholen.»
Marthaler bedankte sich und nahm das Angebot an.
Elvira war gerade dabei, ihre Handtasche zu packen. Sie teilte ihm mit, dass Petersen angerufen habe. Er hatte mit Sandra
Gessner gesprochen. Aber Hendrik Plöger hatte sich bisher nicht bei ihr gemeldet. Sie hatte versprochen, umgehend Bescheid
zu geben, falls sie etwas von ihm hören sollte. «Die Kollegen von der Pferdestaffel sind auch benachrichtigt und haben ihre
Unterstützung zugesagt.»
«Gut. War sonst noch was?»
«Nein», sagte
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