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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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untersagt.»
    Er ließ den Mann stehen. Dann drehte er sich noch einmal um.
    «Und wenn Sie Ansprüche geltend machen wollen, tun Sie das. Aber tun Sie es bitte schriftlich. Die Adresse des Präsidiums
     steht im Telefonbuch.»
    Marthaler schaute sich um. Im Schatten einer großen Kastanie, dicht an dem kleinen Bach, sah er eine Sitzgruppe. Sie bestand
     aus drei Stühlen und einem kleinen runden Tisch. Die Möbel waren aus weiß gestrichenem Metall, das im Licht dieses schönen
     Sommertages leuchtete.
    «Dorthin gehen wir», sagte Marthaler. «Dort können wir reden.»
    «Nicht schlecht», sagte Toller, nachdem er seine Uniformjacke ausgezogen und sich auf einen der Stühle hatte sinken lassen.
    Der Polizist grinste.
    «Was meinen Sie mit ‹nicht schlecht›?», fragte Marthaler. «Den Stuhl? Oder den Garten?»
    «Nein. Ich meine: Wie Sie es diesem Typen gegeben haben.»
    |302| «Das habe ich nicht. Ich habe lediglich gesagt, was zu sagen war. Und jetzt erzählen Sie bitte.» Marthaler hörte sich an,
     was Toller zu berichten hatte. Mehrmals unterbrach er den Schutzpolizisten und fragte nach Einzelheiten. Er merkte rasch,
     dass ihm die Art des Kollegen nicht behagte. Zu forsch waren dessen Bewegungen und zu lässig seine Formulierungen. Toller
     verkörperte genau den Typ des Polizisten, den Marthaler immer als schädlich für ihre Arbeit empfunden hatte. Er hatte es nie
     gemocht, wenn die Kollegen mehr Zeit im Fitnessraum und auf dem Schießstand verbrachten als mit den Leuten, um die es ging.
     Innerlich musste er sich ermahnen. Das Gespräch durfte nicht durch seine Abneigung belastet werden. Und er wollte nicht dieselbe
     Überheblichkeit bei sich zulassen, die er kurz zuvor noch bei Kai Döring kritisiert hatte.
    «Ich kam ans Fenster und habe gerade noch Plögers Kopf hinter dem Zaun verschwinden sehen», sagte Raimund Toller.
    «Sie haben zuerst Plöger gesehen. Und später erst entdeckt, dass Steinwachs unten am Boden lag?»
    «Ja. Ich hätte eine Sekunde schneller sein müssen.»
    «Was meinen Sie damit? Eine Sekunde schneller?», wollte Marthaler wissen.
    «Ich hätte schneller oben am Fenster sein müssen.»
    Marthaler begriff nicht. «Was hätte das geholfen, wenn Sie schneller oben gewesen wären?»
    «Ich habe gerade noch Plögers Kopf verschwinden sehen. Eine Sekunde früher hätte ich ihn noch erwischt.»
    «Erwischt?»
    «Ja, dann hätte ich noch schießen können.»
    Marthaler war sprachlos. Er brauchte einen Moment, um zu verstehen, dass Toller es ernst meinte. «Aber haben Sie nicht gesagt,
     Plöger ist über den Zaun geklettert? Er hat Ihnen also den Rücken zugekehrt. Dabei hat er bestimmt die Pistole nicht in der
     Hand gehabt. Und Sie wussten zu diesem Zeitpunkt |303| noch gar nicht, dass er bewaffnet war. Sie hätten ihn einfach so in den Rücken oder gar in den Hinterkopf geschossen? Meinen
     Sie das?»
    Toller schien Marthalers Einwände nicht zu verstehen. Es war, als lebten sie beide in völlig unterschiedlichen Welten. «Ich
     denke, ihr sucht einen Doppelmörder.»
    Marthaler hätte am liebsten geschrien. Aber er zwang sich, ruhig zu bleiben. «Nein, nein, nein. So geht das nicht. Es stimmt,
     wir suchen einen Doppelmörder. Und wir haben Hendrik Plöger zur Fahndung ausgeschrieben. Aber wir wissen nicht, ob er der
     Täter ist. Vielleicht ist er auch nur ein wichtiger Zeuge. Das heißt, Sie hätten, ohne zu zögern, einen Zeugen erschossen.»
    Toller schüttelte den Kopf.
    «Begreifen Sie denn nicht?», sagte er. «Er hat einen Kollegen verletzt. Er hat einem Kollegen die Waffe gestohlen. Steinwachs
     hätte tot sein können.»
    Marthaler nickte.
    «Doch», sagte er. «Ich begreife. Ich begreife aber auch, dass es Ihnen nicht um den Kollegen ging. Der lag bereits bewusstlos
     am Boden. Und Sie wussten ja in diesem Moment noch nicht einmal, dass er verletzt war. Doch, ich begreife sehr wohl. Vor allem
     begreife ich, dass Sie gerne geschossen hätten.»
    Toller begann mit den Armen zu fuchteln. Er setzte zu wortreichen Erklärungen an. Schließlich warf er Marthaler vor, nicht
     zu wissen, wie es auf der Straße zugehe, wie schwer der Alltag eines Schutzpolizisten sei.
    Marthaler stoppte Tollers Redefluss.
    «Danke», sagte er. «Sie können jetzt gehen. Ich brauche Sie nicht mehr. Ich werde einen Bericht über unser Gespräch schreiben.
     Ich werde dafür sorgen, dass überprüft wird, ob Sie für diesen Beruf geeignet sind. Ob man es verantworten kann, |304| dass jemand wie Sie

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