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Ein allzu schönes Mädchen

Titel: Ein allzu schönes Mädchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
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einen Polizeiausweis und eine Dienstwaffe trägt.»
    Toller stand auf. Er bebte vor Zorn. Seine Kiefermuskulatur zuckte. Er stand jetzt direkt vor Marthaler. Er hatte die Ärmel
     seines Hemdes hochgekrempelt, als wolle er dem Hauptkommissar seinen mächtigen Bizeps zeigen.
    «Kameradensau», sagte Toller. «So haben wir solche wie Sie während der Ausbildung genannt. Wissen Sie das?»
    Dann nahm er seine Jacke von der Stuhllehne, drehte sich um und ging.
    «Ich weiß», murmelte Marthaler, der mit einem Mal unendlich müde war. «Leider weiß ich auch das.»
     
    Er blieb im Schatten der Kastanie sitzen. Die Sonne war inzwischen ein ganzes Stück in Richtung Westen gewandert. Ein wenig
     Wind kam auf und bewegte die Blätter und Halme. Die kühle Luft tat gut. Ein kleines Frösteln lief über Marthalers Unterarme.
    Er schaute sich um. Mit hungrigen Blicken nahm er die Schönheit des Gartens auf. Dann schloss er die Augen und lauschte dem
     Zwitschern der Vögel, dem Plätschern des Baches, dem Summen der Insekten.
    Was für ein wunderbarer Ort, dachte er. Die Farben, die Gerüche, die Geräusche. Alles ist so frisch, als sei es gerade erst
     entstanden. So also kann das Leben auch sein, so unversehrt, so arglos. Hier möchte man sitzen bleiben. Für immer. Ohne an
     etwas anderes zu denken als an die Pflanzen, die Tiere und den Wind. Nicht an tote junge Männer, nicht an schöne Einbrecherinnen
     und nicht an schießwütige Polizisten. Einfach sitzen und warten.
    Er ließ sein Kinn auf die Brust sinken. Sein Gesicht lag im rötlichen Licht der Nachmittagssonne. Die Wärme hatte ihn schläfrig
     gemacht.
    |305| Als er die Augen wieder öffnete, saß Walter Schilling auf einem Stuhl neben ihm. Marthaler wusste nicht, wie lange er so dagesessen
     hatte.
    Er streckte sich. Dann musste er gähnen.
    «Das sah schön aus», sagte Schilling.
    «Was?»
    «Du hast so friedlich geschlafen. Ich wollte dich nicht wecken.»
    Marthaler war es peinlich, dass man ihn beim Schlafen überrascht hatte. «Ich muss wohl einen Moment eingenickt sein. Hast
     du etwas gefunden im Haus? Spuren, die uns weiterhelfen?»
    Schilling verneinte. «Ein paar Fasern, ein paar Fingerabdrücke. Ich glaube nicht, dass sich daraus etwas Neues ergibt. Das
     war wohl auch nicht zu erwarten. Oder?»
    «Trotzdem war es wichtig.»
    «Ja. Vielleicht.»
    Eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander.
    «Weißt du was», sagte Schilling, «da drinnen gibt es eine Espressomaschine, einen Vorratsschrank und einen gut gefüllten Kühlschrank.
     Überhaupt ist dieses so genannte Gartenhaus besser ausgestattet als meine Wohnung. Was hältst du davon, wenn ich uns einen
     Cappuccino mache?»
    Marthaler sah ihn ungläubig an.
    «Ich versichere dir, ich werde hinterher alles wieder so herrichten, dass man keine Spuren findet. Davon verstehe ich was.»
    Marthaler lachte. «Ja. Cappuccino wäre prima. Mit geschäumter Milch?»
    «Selbstverständlich! Mit geschäumter Milch!»
    «Hoffen wir nur, dass uns der Herr Rechtsanwalt nicht überrascht.»
    Während Marthaler in seinem Stuhl saß und hinter sich |306| Schilling im Haus rumoren hörte, begann er wieder über den Fall nachzudenken.
    Obwohl sie seit dem heutigen Vormittag ein ganzes Stück weitergekommen waren, hatte er das Gefühl, dass ihre Ermittlungen
     noch immer zu ungeplant verliefen, dass sie noch keine eindeutige Richtung gefunden hatten.
    Ohne dass es jemand ausgesprochen hatte, waren sie nach den Ereignissen der Nacht und des Morgens stillschweigend davon ausgegangen,
     dass Hendrik Plöger der gesuchte Täter war.
    Vieles schien darauf hinzuweisen. Denn warum war Plöger, wenn er unschuldig war, nicht in seine Wohnung zurückgekehrt? Warum
     hatte er sich nicht längst bei der Polizei gemeldet? Warum schlief er auf einem fremden Balkon? Und schließlich: Warum war
     er vor den beiden Polizisten geflohen, hatte dabei den einen verletzt und auch noch dessen Pistole gestohlen? Hieß das, dass
     er die Waffe einsetzen wollte? Das alles konnte bedeuten, dass Hendrik Plöger der Täter war.
    Aber etwas ließ Marthaler zögern. Vor allem befürchtete er, dass sie vorschnell etwas ins Rollen gebracht hatten, das nur
     schwer zu stoppen sein würde. Tollers Übereifer, der nur zufällig ohne schlimme Folgen geblieben war, war wie eine Bestätigung
     dafür.
    Walter Schilling stellte die Tassen auf den Tisch. Dann setzte er sich und schaute Marthaler an.
    «Du bist unzufrieden mit uns, nicht wahr?», sagte

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