Ein altes Haus am Hudson River
musste, und bildete sich ein, sie glaube es auch nicht, aber sie wagten beide nicht, mit dem anderen darüber zu sprechen. Es war, als dürften sie nur mit angehaltenem Atem dasitzen, während draußen vor der Tür die zögerlichen Schritte des Feindes zu hören waren.
Vance schrieb, solange es hell war, dann stand er auf, um die Lampe zu holen. Das Feuer war ausgegangen, und er merkte entsetzt, wie kalt es im Zimmer geworden war. Er rief der Frau in der Küche zu, sie solle Kohlen bringen. Er stellte die Lampe auf den Schreibtisch, und als das schattenlose Licht auf Laura Lous Gesicht fiel, kehrte seine Angst zurück. Sie schlief ruhig, aber ihr Gesicht war so blutleer, dass nichts mehr an ihr lebendig schien als das unnatürlich glänzende, über ihrer verhärmten Stirn sich kräuselnde Haar.«Ob es wohl stimmt, dass das Haar als Letztes stirbt?», dachte er.
Als das Feuer wieder brannte, sagte er:«Wir bringen sie lieber ins Bett», und während die Frau hineinging, um alles herzurichten, beugte er sich über Laura Lou und hob sie hoch. Sie schlug die Augen auf und blickte ihn an, aber es war ein Blick voller Entsetzen und Verwirrung.«Wer ist das?», rief sie und begann sich in seinen Armen aufzubäumen, und als er sie ins Bett legte, kam der Blutsturz … Er schickte die Frau sofort los, um nach dem Arzt zu telefonieren, und beschwor sie, so schnell wie möglich zurückzukommen. Als sie fort war, versuchte er sich zu erinnern, was man tun musste, wenn«es»passierte, und mühte sich taumelnd und unbeholfen ab, so gut er konnte. Nach einer Weile hörte die Blutung auf, und er setzte sich ans Bett und wartete. Der Abend war so still, dass er jedes Geräusch schon von Weitem hören konnte, aber niemand kam, und während er so dasaß, fiel ihm der verängstigte, verhuschte Blick in den Augen der Hausgehilfin ein. Wahrscheinlich kam sie nicht wieder … Die Zeit schleppte sich dahin – Stunden um Stunden, vielleicht über Tage und Nächte –, bis er endlich unten an der Straße die Hupe des Arztes hörte. Er sah auf die Uhr und merkte, dass kaum eine Stunde verstrichen war, seit die Frau ihn holen gegangen war.
Der Arzt sagte, es gebe nichts zu tun, es habe von Anfang an nie etwas zu tun gegeben. In solchen Fällen wolle er die Leute nicht quälen und lasse sie da, wo sie bleiben wollten … Nein, auch im vergangenen Winter hätte man nichts mehr tun können. Natürlich, wenn man es schon früher gewusst hätte … aber es handle sich um die schnell verlaufende Form, die sich wahrscheinlich innerhalb nur weniger Monate entwickelt habe, und in diesem Fall habe es keinen Sinn, die Patienten irgendwohin zu schicken …
Er gab Vance recht: Die Hausgehilfin werde wahrscheinlich nicht wiederkommen, ein Blutsturz erschrecke solche Leute immer zu Tode; doch er versprach, gleich morgen früh nach einer Krankenschwester zu suchen. Zurzeit herrsche eine schlimme Grippeepidemie, und Krankenschwestern seien in dieser Gegend rar, aber er wolle tun, was er könne, und fürs Erste sei alles in Ordnung. Als er fort war, blickte Vance wieder auf seine Uhr und sah, dass es noch nicht einmal zehn Uhr war. Er setzte sich ans Bett, in dem Laura Lou mit entspanntem Gesichtsausdruck schlief.
Vor Tagesanbruch schlich Vance ins Freie, um Kohlen zu holen und den Küchenherd anzuheizen. Er öffnete die Haustür und sah hinaus in die sich lichtende Dunkelheit. Er bewegte sich rein mechanisch, sein Geist weigerte sich zu arbeiten. Eine träge Schläfrigkeit beschlich ihn, und als er in der Küche einen Topf mit kaltem Kaffee fand, stellte er ihn zum Aufwärmen auf den Herd. Dann schlich er zurück zu Laura Lou, setzte sich neben das Bett und schlief ein … Als er aufwachte, war es heller Tag, doch sie schlief noch immer. Er schüttelte sich, holte den heißen Kaffee und trank ihn in einem Zug leer. Dann machte er sich an die elementarsten Hausarbeiten, soweit er etwas davon verstand, und wartete darauf, dass Laura Lou aufwachte.
Nach einer Weile hörte er eine Hupe. Es war nicht die des Doktors; vielleicht kam die Krankenschwester? Er unterbrach den Abwasch, und als er vor die Haustür trat, sah er unten am Feldweg einen großen Wagen stehen und unter den Apfelbäumen einen Mann, der sich zu Fuß näherte. Er und Vance starrten einander an. Es war Bunty Hayes.
« Also das nenne ich Landleben!», rief Hayes und kam mit ausgestreckter Hand auf ihn zu.«Man braucht ja einen Spürhund, um Sie aufzustöbern.»
Vance stand regungslos auf
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