Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
Vom Netzwerk:
in den Selbstmord zu schicken, ist magisch.
    Glänzende Rezensionen in der dänischen Presse, und in Dagens Nyheter eine fürchterliche Abschlachtung, bewerkstelligt von Bengt Jahnsson. Aber er reißt sich am Riemen und erklärt allen, die es hören wollen, das dies vielleicht das Beste sei, was er auf der Bühne geleistet habe, erstaunlicherweise als Regisseur, das genau sei der Sinn des Theaters, endlich einmal zur Stille des Kerns vorzudringen, er weiß, dass ihm dies gelungen ist. Zum ersten Mal auf einer Bühne Fräulein Julie von August Strindberg!
    Sollte es nicht so sein? Immer?
    Nein, er sinkt noch nicht. Nicht damals im Avenyteater 1985. Aber es ist klar: Während der Proben hatten die Warnglocken geläutet. Und er hatte sie gehört.
    Sie probten Fräulein Julie im Avenyteater, neben der Bühne war eine Bar, und in jeder Mittagspause saßen er und Ole Ernst zuversichtlich zusammen und tranken ein Elefant-Bier. Es war ganz natürlich. Es war ja Dänemark. Kein rigoroser Moralismus wie in Schweden. Man konnte sich entspannen, und sie nahmen selten mehr als ein Bier, und danach drei Stunden Probe, und Ole und er waren die besten Freunde.
    Und plötzlich war Ole verschwunden. Zwei Wochen vor der Premiere.
    Er erinnerte sich natürlich daran, dass Ole Alkoholprobleme gehabt hatte, aber nur zuweilen, mit langen Abständen, und er kannte keinen pflichtbewussteren Schauspieler als Ole, einen der Stars an Det Kongelige. Deshalb nichts einzuwenden gegen das Elefant-Bier mitten am Tag. Selten mehr. Zwar hatte er als Regisseur die moralische Verantwortung für alles, auch die Alkoholdisziplin, aber sie waren ja beide erwachsene Menschen, und er war es, der bestimmte. Hätte er etwas gesagt, wäre Ole nie auf die Idee gekommen. Das war eisernes Gesetz.
    Aber jetzt war er verschwunden.
    Er befand sich sicher irgendwo in der Nacht, unterwegs auf der in Kopenhagen so genannten Todesroute, an die zehn berüchtigte Kneipen, bevölkert von denen, die keinerlei Hoffnung mehr hatten. Und am dritten Tag fand man ihn dort auch, noch bei Bewusstsein, aber es ging ihm dreckig.
    Sie schafften ihn nach Hause.
    Ole und er führten ein Gespräch, sehr still, Ole verzweifelt; und am vierten Tag konnten sie die Proben wieder aufnehmen. Ole besser und ergreifender als je zuvor, und keiner im Team äußerte im übrigen ein Wort der Kritik ihm selbst gegenüber, also wegen des Elefant-Biers in der Mittagspause, und ob er nicht gewusst habe , und doch war er derjenige, der die ganze Verantwortung trug.
    Er saß am Regietisch und wusste, dass alles sein Fehler war. Er hatte Ole auf die Todesroute hinausgelockt. Er hätte die Alarmglocken läuten hören sollen.
    Er bemerkte, dass Ole sich jetzt, während der Abschlussproben, ständig kratzte, überall, am ganzen Oberkörper, und er fragte ihn, was das sei. Ole erklärte ruhig, es geht jetzt aus dem Körper , er fragte, und wie fühlt es sich an , und bekam die Antwort als wenn man in einem Ameisenhaufen läge, es ist die Hölle .
    Es war eine Entzugserscheinung.
    Ole war ein glänzender und ergreifender Jean. Das war 1985. Jetzt war es dieser Herbst 1977 am Broadway, und er wusste noch nicht, wie es sein konnte, oder wie es war, Regie zu führen, und die Verantwortung zu haben, noch, wie es war, in einem Ameisenhaufen zu liegen. Er ist erfüllt von einem Tag, der von einem Streit darüber kaputtgemacht worden war, inwieweit es am Broadway annehmbare Regisseure gab, und im Tagebuch notiert er für den 2. Oktober nur: verfluchter Sandkasten .

Michael Kahn hatte eine Frage nach Bergman gestellt. Und E. hatte in diesem Herbst 1977 wirklich keine Antworten, was Bergman und seinen Umgang mit Schauspielern anging.
    Es sollte einige Jahre dauern, bis er würde antworten können; erst nachdem Bergman im Residenztheater in München Aus dem Leben der Regenwürmer inszeniert und später die Uraufführung der Bildermacher am Dramaten in Stockholm verantwortet und anschließend einen Fernsehfilm daraus gemacht hatte.
    Es war unkontrovers und vertrauensvoll, Bergman war gelöst und loyal und zeigte einen großartigen Respekt vor dem Text, einen Respekt, der sich schockierend weit weg von dem anderer, weniger bedeutender Regisseure befand.
    Dennoch konnte er im nachhinein Michael Kahns beinah verzweifelte Ehrfurcht vor dem schwedischen Denkmal verstehen. Es ging etwas Bedrohliches davon aus. Etwas nahezu Gespenstisches hing dem Begriff Bergman an, das auch kluge Menschen veranlasste, sich irrational zu

Weitere Kostenlose Bücher