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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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brannte . Es wurde gar nicht so schlecht. Die Fledermäuse schienen zu verschwinden.
    Eines frühen Morgens stand er auf, um die Angst durch Gehen zu vertreiben, und da sah er, zum ersten und einzigen Mal in seinem Leben, einen Luchs, oben am Slalomhang. Der Luchs hatte ihn aufgesucht, stand vollkommen reglos da, und er winkte mit der Hand und sagte lautlos, um den Luchs nicht zu verscheuchen, über dich habe ich ein Stück geschrieben . Es war so seltsam, der Luchs hatte reglos da gestanden und Hoffnung signalisiert , oder auf jeden Fall tiefe Zuversicht. Unglaublich, welch starke Signale Tiere aussenden konnten. Wenn man nur an August dachte, seine rote Katze. Und da stand jetzt der Luchs mit erhobenem Kopf und streng kritischem, forschendem Blick. Der Luchs war von den Bergen heruntergekommen, um ihm ein Zeichen zu geben.
    Es war Mai. Fast kein Blatt an den Bäumen.
    Er hatte angefangen, auf die Zeichen in der Natur zu achten, um zu sehen, was geschehen würde.
    Die Libellen schienen, später im Sommer, zurückzukommen. Das konnte man auch als eine Hoffnung ansehen. Luchse zeigten sich wahrlich nicht so oft. Es war ganz offensichtlich, dass der Luchs Vertrauen zu ihm gehabt hatte. Im Juni mieteten sie ein Haus in den Schären, seine Mutter kam für eine Woche herunter, und er musste sich zusammennehmen. Es gibt ein Foto von ihnen, sie sitzen zusammen auf einer Holzbank, jemand hat das Foto aufgenommen, sie sehen ziemlich nettig aus. Er ist braungebrannt, und sie trägt einen ulkigen kleinen Hut. Das Foto ist schonend: er kann ein wenig betrunken gewesen sein, aber sie hat sicher nichts gemerkt. Hätte sie Alkohol gerochen, hätte sie es bestimmt gesagt. Aber sie wusste vielleicht nicht, wie es roch. In dem Fall hätte sie gefragt Du hast doch wohl nichts getrunken , oder so. Vielleicht ihn daran erinnert, dass er zweiter Kassenwart im Heer der Hoffnung gewesen war, oder eine andere wichtige Erinnerung aus der Kindheit.
    Er weiß nicht mehr, worüber sie gesprochen haben.
    Wer sie zusammen auf dem Foto sähe, würde sicher sagen, dass dort eine alte Frau saß, die glücklich war über ihren braungebrannten und erfolgreichen Sohn. Die Kamera lügt nie, also war wohl etwas daran. Er kann sich nicht erinnern, dass sie in den vierziger Jahren, nach den Sommern auf Granholmen, das später in Majaholmen umgetauft wurde, braungebrannt gewesen wären.
    Eines Nachmittags, als er auf einem Sofa in dem gemieteten Haus aufwachte, saß Lone da und betrachtete ihn; sie hatte nasse Haare, und er fragte sie, ob sie geschwommen sei, und sie sagte: Ja, raus zur Insel ; es waren zweihundert Meter dorthin, und er sagte, du bist nicht gescheit, du hättest ertrinken können , und sie sagte, ja, das hätte sie, doch es mache ihr nichts mehr aus, und sie fing an zu weinen, und am Tag darauf war er nüchtern. Alle, die fragten, glaubten, dass es eine einfache Antwort gäbe oder dass ein anderer daran schuld sei. Aber das genau machte ihn ja so wahnsinnig verzweifelt, es gab keine Antworten und keinen Schuldigen, außer ihm selbst. Er hatte scharfe Schreiben an die Leitung des Gesundheitsamts Huddinge geschrieben, er war anfänglich ziemlich zufrieden, bis er fühlte, dass etwas an diesen Versuchen, die M 87 zu zermalmen, total krank war. Die Schären waren schön. Alles war vollendet. Seine Mutter war nach einer Woche in den Norden zurückgefahren, nach Hause. Seine Frau kehrte nach Kopenhagen und zu ihrer aufreibenden Chefstelle beim TV 2 zurück.
    Er fühlte sich listig frei .
    Zum Herbst hin ein anderes Sommerhaus in den Schären von Gryt, die Kinder riefen an und hörten, dass nicht alles war, wie es sein sollte, obwohl er am Telefon sowohl klar als auch aufrichtig gewesen war. Mats und seine Frau Ingrid kamen herunter und brachten ihn nach Kopenhagen und fuhren in derselben Nacht noch zurück. Es waren wohl tausendzweihundert Kilometer. Unglaublich, wie sich alle unnötig Sorgen machten. All die, die ganz unnötigerweise Verantwortung für ihn übernahmen. Im September ruft jemand von der Opernabteilung von Det Kongelige Teater an und fragt, ob er Beethovens Egmont inszenieren will. Sind die vollkommen verrückt geworden? Er schnappt nach Luft und lehnt dankend ab und freut sich gleichzeitig darüber, dass fast ganz sicher niemand etwas gemerkt hat .
    Der Sommer ging zu Ende.
    Es war das Jahr 1989, in dem die Geschichte sich wendete, doch das, woran er sich am besten erinnert, ist die Stille, und dass er viel schlief, dass er, als

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