Ein anderes Leben
letzte im Kreis an der Reihe.
Und da hatte er etwas gesagt, ziemlich kurz, denn er war nahe daran, überhaupt nichts sagen zu können, und hatte ihnen gedankt für die gemeinsame Zeit, und gesagt, wie sehr er sie mochte.
Und dass er immer, immer an sie zurückdenken würde, solange er lebte.
Und dann war es vorbei.
Um siebzehn Uhr machte er sich davon und ging hinaus auf den offenen Platz vor dem Krankenhaus. Er überquerte den jetzt schneebedeckten Platz und blickte zurück auf die riesigen Kuben, die das Krankenhaus Huddinge bildeten und die ihn, dessen war er sicher, fast vernichtet hätten. Entweder floh er vor etwas, das ihn fast getötet hätte, oder er lief vor dem davon, was die Rettung hätte sein können. Er wusste nicht, was geschehen war. Vielleicht würde er es nie erfahren. Jetzt floh er, und gab auf.
Es war eine Ewigkeit her, seit er hier angekommen war, eines Abends, abgeliefert wie ein Paket. So hatte man gesagt. Ein Kind, das Wegweisung brauchte, vielleicht. Aber er erinnerte sich ja nicht. Er hatte wohl Hilfe empfangen. Jetzt floh er. In ein anderes Leben, oder in das gleiche?
Der Himmel schwach rot, ganz unten fast schwarz. Deutlich Winter in Schweden. Kein Nordlicht. Er hatte aufgegeben. Das einzige, was er jetzt noch fühlen konnte, war nicht Zorn, nur Trauer.
Er hatte erfolgreich sein Leben verteidigt, und aufgegeben.
Zwei Monate später befand er sich in Brighton und saß in einem Hotelzimmer und sah auf die berühmte und zerfallende Pier hinaus, und er schrieb ganz oben auf das Papier ›Kapitän Nemos Bibliothek‹.
Es sah aus wie der Titel eines Romans.
Das war alles. Als er versuchte, den Roman zu schreiben, ging es nicht. Er wusste, was für ein Roman es werden sollte, aber es war zu früh. Ein Buch über seine Mutter und Eeva-Lisa und ihn selbst.
Wie weit weg es war. Mit der Zeit, vielleicht? Vielleicht würde die Zeit nie kommen. Er wusste es nicht, aber ein bisschen Hoffnung kann man ja haben.
Im Mai fing er wieder an zu trinken.
Kapitel 15
DIE STERNE ÜBER ISLAND
Am schlimmsten waren die Fragen, er konnte sie nicht beantworten, nicht einmal sich selbst. In Paris hatte er ein Fragebuch begonnen. Es war anfangs leicht, wie die Antwort auf die Frage nach der Telefonnummer. Sjön 3, Hjoggböle.
Die zweite Frage war schlimmer: Wenn alles so gut anfing, wie konnte es dann so schlimm werden?
Alle waren in diesem Sommer 1989 freundlich und fragend. Etwas war geschehen, auf der M 87; was es war, darüber sprach er engagiert, auch wenn er nicht mehr sicher war, was oder ob es geschehen war, was die Freunde zu ermüden schien, die jedoch geduldig zuhörten.
Alles um ihn her kam ihm so still vor. Es war stehengeblieben.
Er trank still und langsam und schlief viel.
Er sehnte sich nach einem Hund. Manchmal konnte er arbeiten; er schrieb ein Filmskript für Jan Troell über die Morde von Åmsele. Es war ein brutaler Dreifachmord, der Mörder hieß Juha, und er nahm sich vor, nicht über die Morde selbst zu schreiben, sondern über etwas, das er ›Die Kindheit des jungen Juha‹ nennen würde. Es sollte im Alter von dreizehn Jahren enden. Das war ja der Punkt, an dem alles im Leben für Menschen wie Juha und ihn selbst sich wendete, stellte er sich vor. In dem, was früher geschehen war, lagen alle Antworten, konnte man sich ja einreden. Aber das stimmte nicht. Man konnte auf diese Kindheitsjahre starren und starren. Und es blieb eine Tabula rasa.
Dann wurde es ein Manuskript nur über die Morde, wie es erwartet wurde.
Seine Angst vor einem inneren Tod bewahrheitete sich jeden Morgen etwa gegen vier Uhr. Er sehnte sich nach einem Hund. Er sah die Trauer in Lones Augen, konnte sie aber zu nichts verwenden. Der Film sollte Il Capitano heißen. Er fuhr sich fest. Nur ein rein sportliches Trainingslager konnte ihn und das Filmprojekt retten; er fuhr nach Vålådalen hinauf, um zu schreiben, nahm aber Alkohol mit. Das hätte Gunder Hägg bestimmt nicht getan. Schon die zweite Nacht war schlaflos, und im Dunkel des Zimmers sah er ganz sicher Fledermäuse an der Decke wimmeln. Er wusste jetzt, dass es mit ihm bald soweit war: wenn man krabbelnde Tiere sah, war es nahe . Hier hatten alle Sporthelden seiner Kindheit sich auf ihre Heldentaten vorbereitet. Selbst sah er wimmelnde Tiere an der Decke. Vielleicht war das logisch. Göran Zetterberg, der Produzent des Films, kam herauf, und in den Morgenstunden schrieb er mit manischer Besessenheit, um etwas zu schreiben, während seine Lampe
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