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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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weinten. Sich durch eine Antabus zu trinken war die Hölle, erklärte Eigil, das war für die Kameraden hier auf der M 87 sicher keine Neuigkeit, und Enquist konnte das ja auf jeden Fall für sein Teil bestätigen.
    Aber Eigil hatte es nicht ausgehalten, weinenden Kameraden Antabus in den Hals zu stopfen, und wenn er mit dem Stopfen pfuschte, würde ›Elektrik & Pflege‹ sauer werden und den halben Lohn einbehalten, hatten sie gesagt: Und da war er schließlich zusammengebrochen und hatte angefangen zu saufen und hatte gekündigt. Danach hatte er dann und wann ein paar kräftige Rückfälle gehabt und war hier gelandet, aber als die Leitung das Frageformular an seinen Alten schicken wollte und um die Adresse in Oslo bat, war Eigil zum ersten und letzten Mal auf der M 87 stocksauer geworden, also das hatte er verhindert. Er gönnte seinem Alten nicht den Triumph zu erfahren, wie es mit ihm gelaufen war.
    Sie saßen lange da und sahen schließlich die Morgendämmerung in den Kaffeeraum der M 87 in Huddinge einsickern, und als die Kameraden wach wurden und herauskamen, sagte er ihnen, dass er abhauen würde.
    Sie wurden ganz still, aber sie sahen, dass er sich entschieden hatte und dass man nichts tun konnte.
    Er ertrug es nicht, wieder zum Kind gemacht zu werden. Er verabscheute den mütterlichen Tonfall der Leitung, wenn sie ihm mitteilten, was am besten für ihn war.
    War dies wirklich ein Übergriff?
    Es war ein Übergriff.
    Du hast dein altes Leben verwirkt und sollst ein Kind werden, so verstand er sie. Da bekam er Angst. Klar, dass er Angst bekam. Allein der Gedanke, bei der Familienkonfrontation vor die wohlmeinende Gerichtsbarkeit seiner Kinder gestellt zu werden, jagte ihm Angst und Schrecken ein. Er wusste ja, wie er reagieren würde: Er würde zu Eis gefrieren und sie auf diese Weise für immer verlieren. Und sie bedeuteten ja alles.
    Dann lieber sich totsaufen.
    Er hasste es, zum Kind gemacht zu werden. Hatte genug davon gehabt. Warum sollte er sonst fliehen.

Um elf Uhr kam Anneli zu ihm und sagte, die Gruppe habe sich zusammengesetzt und beschlossen, trotzdem heimlich ein gemeinsames Treffen mit ihm im Ting abzuhalten.
    Und dass sie ihm den Letzten Tropfen geben wollten.
    Obwohl es eigentlich gegen die Regeln verstieß, weil er abbrechen wollte, aber als Zeichen dafür, dass sie alle dennoch zu ihm hielten, obwohl es gegangen war, wie es nun gegangen war.
    Keiner von der Leitung würde es erfahren.
    Normalerweise war es eine Zeremonie, die abgehalten wurde, wenn ein Patient nach der Behandlung entlassen wurde. Es ging so zu, dass man sich in einen Kreis setzte. Dann wurde die Deckenbeleuchtung gelöscht, aber es standen zwei Kerzen in der Mitte des Kreises. Und derjenige, der entlassen werden sollte, saß auf seinem Stuhl da wie ein Glied in der Kette. Und dann sollte der, der jetzt ins Leben hinausging, einen kleinen Tropfen aus Gold bekommen, ungefähr drei Millimeter im Durchmesser. Der Tropfen sollte von einem zum anderen im Kreis weitergegeben werden und am Ende bei dem ankommen, der entlassen werden sollte.
    Er oder sie sollte ihn behalten, als ein Symbol dafür, dass dies der letzte Tropfen war.
    Der Tropfen wurde im Kreis herumgeschickt. Man sprach dabei ein bisschen aus den AA-Gebeten oder aus dem Gebet um Gelassenheit, aber das Wichtige war, dass alle, die den Tropfen in die Hand nahmen, eine kleine Spiegelung dessen vornahmen, was passiert war. Und sagten, woran der, der jetzt entlassen wurde, denken sollte. Und so ging es einmal im Kreis herum, und die beiden Kerzen brannten, und die sechzehn Unglücksvögel saßen lange da und erzählten fast flüsternd, wie es gewesen war und wie es werden sollte. Und es war sehr schön, ja, genaugenommen war es verdammt schön.
    Und jetzt sollte er den Tropfen bekommen, obwohl er nur zwei Wochen in der M 87 gewesen war. Aber die Kameraden hatten über die Sache diskutiert und waren zu dem Beschluss gekommen, dass sie es trotzdem tun wollten.
    Sie hatten ja keinen Tropfen, den gab es nur bei der Leitung, aber davon abgesehen machten sie es, wie es sein sollte. Toby fing an und erzählte ein wenig in einer Spiegelung davon, was sie erlebt hatte und was sie hoffte, und so ging es weiter, und man überreichte einen gedachten Tropfen, gleichsam nur mit einem Händedruck. So ging es durch die Runde. Die zwei Kerzen hatten sie in der Küche gefunden. Alle sechzehn saßen da in einem Kreis, und alle hatten sie ihm etwas zu sagen, und am Schluss war er als der

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