Ein anderes Leben
verzerren und Phantasien nachzugehen, ist im Grunde eine Sünde. Abgesehen von den Gleichnissen des Erlösers, natürlich.
Aber wenn es ihm gelänge, die Abhängigkeit wegzuarbeiten, zum Beispiel von den verfälschten Karten, so dass Schluss wäre mit dem Verzerren? Etwas, was ja verborgen werden muss. Wie zum Beispiel, dass er die Sandgrube aufsuchte, um trockenen Sand zu kauen?
Er bekennt diese eventuellen Sünden nie bei den Samstagsbeichten, und außerdem hörten diese ja auf.
Mit der Zeit wird das Dorf, Hjoggböle, zwanzig Kilometer von der Küste und tausend Kilometer nördlich von Stockholm tief im Wald gelegen, eine Art nationaler Berühmtheit erlangen, weil die hundertfünfzig Dorfbewohner nicht weniger als fünf Schriftsteller hervorbringen, definiert durch die Mitgliedschaft im Schwedischen Schriftstellerverband.
Er wird oft gefragt. Warum diese plötzliche Ballung von Erzählern?
Ein Resultat von Inzucht, pflegt er scherzhaft zu antworten: Alle heirateten ja innerhalb eines Radius von zwanzig Kilometern. Die Inzucht brachte viele Dorfidioten oder Schriftsteller hervor, schwer zu sagen, was genau. Dies war vor dem Einzug des Fahrrads um die Jahrhundertwende, als der Aktionsradius der jungen Männer sich um den Unterschied zwischen zu Fuß gehen und Rad fahren erweiterte und die Inzucht im großen und ganzen aufhörte. Darüber konnte man Scherze machen, um nicht nachdenken zu müssen. Oder es wurde das Bild der unablässigen Gespräche am Lagerfeuer heraufbeschworen, oder in den dunklen Küchen, eine mindestens tausendjährige Erzähltradition, die jetzt plötzlich nicht zum mündlichen, sondern zum schriftlichen Erzählen führt.
Er weiß ja, dass nichts davon stimmte.
Er hat nie eine Erzählung gehört, oder eine Geschichte. Er selbst sitzt nur still auf dem Küchenfußboden mit dem schnupftabakbraunen Linoleumbelag und zeichnet Karten auf Butterbrotpapier. Kein Lagerfeuer. Keine Greisinnen, die Geheimnisse erzählt hätten. Die bluttriefenden Geschichten des Alten Testaments sind an und für sich interessant, doch er kann sie bald auswendig. Ansonsten vor allem Schweigen. Freunde hat er keine, vermisst sie auch nicht, er hat ja den Wald und den Feldsoldaten mit eingezeichneten Panzersperren. Im Wald baut er Verteidigungswälle für zukünftige Angriffe, aber das ist nichts, um es aufzuschreiben. Nicht einmal Stimmen, nur Schweigen, eingebettet in Schnee. Winter mit Schnee und Nordlicht und Vögeln im Ebereschenbaum und die Telefondrähte, die gegen den Resonanzkörper des Hausgiebels klingen, aber dies ist keine Erzählung.
Oder doch?
In der Erziehung des Kindes wird bestimmt, welche Fragen das Kind beantworten soll, und da werden auch die Antworten bestimmt. Es sind die beharrlichen Fragen von Sünde und Schuld und Himmel und Hölle und Leben und Ewigkeit und dem unverrückbaren und eiskalten Schweigen des Sternenhimmels und Antworten darauf, die nur durch Blixt Gordons Himmelsfahrten jeden Tag im Norran leicht ins Wanken gebracht werden. Aber auch dies ist keine große Erzählung. Vielleicht nur ein Gesang, oder eine Klage. Diese unablässigen existentiellen Fragen an das Kind, vielleicht keine schlechten Fragen, aber die Antworten eissplitterscharf und unerbittlich und fundamentalistisch.
Alles ist unerklärlich. Aber er hat ja den Wald. Der Wald ist der beste Spielkamerad, doch eine Geschichte erzählt er nicht! Auf jeden Fall keine, die er weitertragen kann.
Warum gerade er?
Es gab ja keinen anderen in seiner Familie, der abhängig wurde vom Dichten. Bauern über Jahrhunderte, und kein wie auch immer gearteter Intellektueller, so weit das Auge reicht. Kein Bauernstudent. Nicht einmal ein Prediger.
Wenn man nun nicht auf eine andere Art und Weise dachte.
Er fragt genau nach. Keiner in der Familie ist mit dem Gesetz in Konflikt gekommen oder wegen einer kriminellen Tat bestraft worden, es finden sich keine Hinweise auf Alkoholmissbrauch oder liederlichen Lebenswandel, Gottesleugnung oder unzüchtiges Handeln. Alle stehen in dem Ruf, gläubig zu sein, oft tief gläubig. Der Onkel, der für eine sehr kurze Zeit als verrückt angesehen wurde, aber rasch seinen klaren Verstand wiederfand und im Herbst seines Alters auch ehrenamtlich in der Eishockeyabteilung des Skellefteå AIK arbeitete, er war nur eine Parenthese.
Aber gab es wirklich niemanden in seiner Familie, der vor ihm berufen gewesen war? Es wird verneint. Doch man erwähnt seine Urgroßmutter.
Seine Großmutter hieß als
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