Ein anderes Leben
weiß, welche Maße für internationale Spiele erforderlich sind, zum Beispiel zwischen der Komet-Mannschaft und Lycksele; jetzt werden diese neuen Maße eingezeichnet, die es dem Komet-Team theoretisch möglich machen, den Schritt nach Europa zu tun. Außerdem: In der Senke neben diesem neuen Stadion, auf der Ostseite Richtung Sjön, zeichnet er einen kräftigen Felsbuckel ein (86 m ü. NN), der bewaldet ist und wo sich jemand verstecken kann, für alle in Sjön unsichtbar.
Dort wird er, den Blicken der innig Gläubigen entzogen, die Spiele anschauen können.
In all diesen Dingen ist er der alleinige Geheimnisträger. Er kann nicht entlarvt werden. Die Karten gleichen scheinbar dem Dorf, sind aber nicht das Dorf. Er hat die Grenzen des Dorfs gesprengt, jetzt ist alles möglich. Wortlos sprechen die verschlüsselten Mitteilungen auf dem Butterbrotpapier von einer fremden Landschaft, die nur er allein kennt, einer Landschaft ohne Menschen, aber mit Häusern und Katen und gepunkteten Pfaden und Steilhängen und, zu guter Letzt, auch der Grotte, die der Aussichtspunkt ist, von dem aus seine jetzt durch Hinzudichtung erweiterte Landschaft betrachtet werden kann.
Es gibt ein Problem: Er hat keine Menschen auf der Karte. Es gibt keine Zeichen für Mensch, es sei denn indirekte, Kate oder dergleichen. Wo der Menschenhaufen sich sammelt, wie beim Fußballplatz, fehlen die Zeichen für Menschenhaufen. Vor allem fehlen die Zeichen für ihre Bewegungen, oder was sie von einander halten. In des Vaters Feldsoldaten aus der Zeit beim Landsturm waren Truppenbewegungen eingezeichnet, und Panzer, und im Geographiebuch von Europa gab es eine Spezialkarte mit einem roten Punkt für jede Million Menschen. England war ganz rot, als hätte man einen Eimer Schweineblut über der Insel ausgekippt. Aber die Kompanie im Feldsoldaten bestand nie aus einzelnen Menschen, und die englischen Punkte bewegten sich nicht.
Er grübelt darüber nach, ob er Menschenzeichen einsetzen soll, scheut sich aber.
Eigentlich hat er noch keine Angst. Die physischen Gegenstände, mitsamt Naturphänomenen, behandelt er ruhig. Zweifellos kann er vor der Felswand Sumpf einzeichnen, damit die von Osten angreifenden deutschen Panzer steckenbleiben. Furchtlos zeichnet er eine Kirche auf kleinem Hügel ein, niedrige Höhe wegen der Alten, die Schmerzen inne Beine haam , er wird neben dem Teermeiler des Großvaters eingezeichnet, der durch einen runden Kreis mit Rauchkringel bezeichnet ist; es ist das einzige Mal, dass er den Zeichencode bricht und ein Zeichen hinzudichtet, aber er tut es mit gutem Gewissen, wegen Großvater und weil er immer dabei sein durfte, wenn man den Meiler leerte. Ohne zu zögern, schafft er auf Ryssholmen eine Lagune, genau an der Stelle, wo die sechs toten Russen begraben liegen.
Aber die Menschen?
Das ist der nächste Schritt, und den tut er nicht. Ein einziges Mal enthüllt er mit Worten das Geheimnis der Karten. Das ist viel später. Die Klasse bekommt das Aufsatzthema »Ein Waldspaziergang«. Er zeichnet eine Orientierungskarte, mit einem gepunkteten Pfad, der die Wanderung markiert. Es ist eine erdichtete Landschaft, die annähernd die Züge des Dorfs trägt, aber maskiert und eigentlich lügenhaft, und im Aufsatz beschreibt er die Wanderung mit Worten. Es ist das, was man sieht, wenn man dem Pfad folgt.
In der Landschaft fehlen jedoch Menschen. Sie ist völlig leer. Keine Menschen, friedvoll. Man konnte sich andere Wesen vorstellen. Vögel, das ist alles, besonders Libellen.
Die einzigen Vögel, mit denen er sich identifizieren kann, sind die Libellen. Später verschwinden sie für viele Jahre, wie das Nordlicht. Da ist er beinah verzweifelt.
Am Schluss, also im Frühjahr 1990, sind sie zurück. Wenn das kein Wunder Gottes ist!
Der Vater hat einen Notizblock hinterlassen, auf den er Gedichte geschrieben hat; die verbrennt die Mutter nach seinem Tod, erklärt nie, weshalb.
Er beschwert sich nie darüber. Auch nicht, als er erwachsen ist. Es ist ihr Recht. Im Heer der Hoffnung, der Juniorabteilung der Blaukreuzlervereinigung, die von seiner Mutter geleitet wird und wo er jahrzehntelang zweiter Kassenwart ist, gibt es Unterweisung über die Abhängigkeit vom Trunk.
Eine Abhängigkeit, die unerklärlich ist.
Es gibt ja auch andere unerklärliche Abhängigkeiten. Sein unentwegtes Kartenzeichnen, mit diesen Verfälschungen der Wirklichkeit, nährt in ihm den Verdacht, dass auch das mit dem Dichten ein Suchtverhalten ist. Zu
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