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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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Spanische Grippe vielleicht. Wenn jemand erkrankte und heimgerufen wurde, war es fast mit Sicherheit die Spanische Grippe, oder der Magen. Es gab einen Ausdruck, der Enquistmagen hieß, es hatte etwas damit zu tun, dass es dünn wurde . Man konnte aber nicht sagen, dass die kleinen Kinder an diesem Enquistmagen starben. Aber sterben taten sie oft.
    Angesichts des Todes galt es, stark zu sein und sich nicht weinerlich zu zeigen. Das Richtige war, tief Luft zu holen, ein paar Sekunden an das Kleine zu denken und dann eine kürzere Träne zu vergießen und der großen Wiedervereinigung im Jenseits entgegenzugehen. Aber nicht alle konnten sich in diese Maske stillen Duldens kleiden: Lovas Mutter hatte zweifellos ihren Gefühlen von Trauer nachgegeben, als sie in den Wald hinaufzog, um ihr Jüngstgeborenes zu opfern.
    Lova war Dorfchronistin, hatte er entdeckt. Sie schickte die Texte ans Norran .
    Wo hatte sie schreiben gelernt? Alle Familien auf ihrer Seite waren Bauern, und niemand schrieb. Die Frage war, was sie lasen. Im Dorf gab es eine einzige Bibliothek, eine schwarze Kiste, die fünfzig Bücher aus der Bibliothek des Blauen Kreuzes enthielt und die von Mimmi Sehlstedt betreut wurde. Da gab es Runa und Salje und Bernard Nordh sowie Erbauungsbücher, die davon handelten, nicht in den Alkohol zu geraten. Besonders Bernard Nordh war gut; da konnten nicht einmal die Stockholmer Autoren mithalten, das stand fest. Durch diese Bücher hatte er sich selbst auch hindurchgelesen. Aber er hatte nie gesehen, dass Lova in Sehlstedts Küche hinübergegangen wäre und gefragt hätte, ob sie an die schwarze Kiste gehen könne.
    Und schreiben? Er erinnerte sich nur an einen Satz, den sie ihm geschrieben hatte: »Hoffe, du verschmähst meine kleine Gabe nicht . « Sie hatte ein Geburtstagsgeschenk geschickt, ein kleines Fässchen mit Zuckerpastillen, zu seinem fünften Geburtstag. Er verstand das Wort »verschmähst« nicht, aber die Mutter erklärte es ihm. Er war empört: Dachte sie, dass er undankbar war?
    Die Großmutter war eine ziemlich kleine, fast eingetrocknete Bauersfrau, deren Mann, Per Walfrid, Kontur und Gesicht hatte und vom Fuchs erzählte und Teermeiler baute; er selbst durfte sie begleiten, wenn sie die Tonnen auswechselten und das Schwarze rann. Dann erzählte der Großvater vom Fuchs, der wegen des Pelzes erschossen werden musste. Er liebte Füchse.
    Aber die Großmutter hatte kein Gesicht, war nur sehr klein und still. Die Kleinheit war in seinen Augen ihre hervorstechendste persönliche Eigenschaft.
    Doch war Lova die einzige im Dorf, die schrieb, und es wurde gedruckt . Es kam in die Zeitung.
    Dafür war sie bekannt. Kein anderer konnte das, und sie tat es. Es waren kurze Artikel über Bethausauktionen und Großfeiertage mit Prediger Bryggman, und vor allem Nachrufe. Jedesmal, wenn jemand starb, musste geschrieben werden. Lova war diejenige. Die Nachrufe waren wichtig, es sollte stimmen, was darin stand, und Lova konnte es am besten. Sie konnte so schreiben, dass das, was gut war, für die Ewigkeit festgeklopft wurde, als lichte Erinnerung; dass der Stachel des Todes zugestoßen hatte gegen den Magen, aber dennoch seinen Stachel verloren hatte, denn der Tote wurde selig heimgerufen. Doch als ihr Lieblingskind Elof gestorben war, schrieb sie nicht. Das war die Ausnahme.
    Am besten war es, wenn Lova Verse über die Toten schrieb. Sie unterzeichnete mit L. oder L. E. Über Beda Renström schrieb sie ein langes Gedicht, das allgemein als gut bezeichnet wurde. Beda war ja nur sechsunddreißig Jahre alt gewesen, als sie starb. »Wenn der Klang der Glocken im Raum verklungen / und der Körper begraben ist, zerfallen zu Erd’ / dann kehren in Gedanken wir zurück zu den Zeiten / als du unter uns warst und dein Wort wir gehört.«Du und dein waren klein geschrieben, um zu verdeutlichen, dass nicht Gott gemeint war, sondern Beda. Er hatte ein Bündel mit Zeitungsausschnitten geerbt, von dem, was sie geschrieben hatte, er hatte es bekommen, als zum ersten Mal im Norran stand, dass er debütieren sollte.
    Er verstand, dass die Person, die es geschickt hatte, eine Botschaft an ihn hatte, und er wurde froh.

Lova schrieb ihre Verse, aber der Großvater schrieb nie etwas.
    Die Frage war, ob er überhaupt schreiben konnte. Aber so einfach war es nicht. Man konnte ja dennoch Verkünder sein, oder eine Erzählung einritzen wollen, oder etwas tun, das sich festsetzte und blieb, wenn man starb.
    Er war Dorfschmied und

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