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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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sie.
    Er weiß, dass sie ihn geschaffen hat, bäumt sich aber auf unter der liebevollen Hand der Bildhauerin. Er unternimmt jetzt in seinem Innern einen Fluchtversuch. Es muss jedoch heimlich geschehen. Sie darf nicht erfahren, dass sie das Kind nicht allein besitzt. Er erzählt es nie.
    Er ist sicher, dass sie sonst in Tränen ausbrechen würde.
    In Die geheimnisvolle Insel war Nemo insgeheim und ohne sich zu zeigen der Wohltäter der Gestrandeten. Er beginnt, sich das Wort so vorzustellen, mit großem Anfangsbuchstaben. Es ist heimlich . Die Wohltäterei muss heimlich geschehen. Die Mutter darf nichts davon wissen.
    Einen toten Vater zu haben, der ein Wohltäter war, war das Allerbeste, fast Geborgenheit. Dann wusste man, dass er dort zur Rechten Gottes saß und sich kümmerte, und man konnte mit dem Wohltäter beratschlagen, in schweren und bedrängten Lagen. Besonders, wenn Jesus und Gott keine Zeit hatten, und sie hatten ja selten Zeit, beinahe nie. Das war das Komische, aber sie durften dafür nicht kritisiert werden; dann verfinsterte sich das Gesicht der Mutter, und sie wurde schweigsam. Es half dann nicht, um Vergebung zu bitten. Es war beinahe eine Todsünde wie die, zu Gottes heiligem Abendmahl zu gehen, ohne den wahren Glauben zu haben.
    Aber dies war später, als das Kind im Begriff war zu zerbrechen.
    Ganz klar war, dass man auf gar keine Art und Weise andeuten durfte, dass Gott oder Jesus keine Zeit hatten oder sich nicht kümmerten. Kein Spatz fällt zur Erde ohne dass! Und so weiter. Sie hat für alles Bibelbeweise. Das Kind hat jedoch das bestimmte Gefühl, dass Gott und Jesus sich dauernd in Zeitnot befinden. Man erwartete, dass sie Zeit haben würden, aber man musste warten, als wäre im Himmelreich ständig Heuernte.
    Mit einem Vater war es etwas anderes. In Jesu Schweigen konnte man fast die Atemzüge des Wohltäters vernehmen. Dann konnte er sich vollkommen ruhig und still in eine Ecke setzen und mit seinem toten Vater reden, also mit’m Elof, nicht mit einer Kiefer, und seine Sorgen schildern.
    Und da gab dieser wortlosen Rat .
    Es war etwas, was kein anderes Kind hatte. Es war besonders fein, ihn da zu haben, wie ein Privileg. Er war ausersehen. Nicht Rat in Form von Worten. Es war die Anwesenheit, und besonders die beruhigende Handbewegung, die das furchtbare Dunkel durchbrach.
    Wenn er einmal in der Nacht zitternd vor Furcht mit der Einsicht erwachte, dass die Ewigkeit – ein Wort, das er so oft in der sonst unbegreiflichen und deshalb überhaupt nicht erschreckenden Verkündigung im Bethaus gehört hatte – dass die Ewigkeit wirklich ewig war , erbarmungslos ausgedehnt ohne Ende, die Strafen ewig und deshalb einen ewigen Schrecken beinhaltend – wenn er also erwachte und einsah, dass nicht einmal die ruhigen Atemzüge seiner Mutter im Dunkeln eine Rettung bedeuteten, weil auch sie in dieser gnadenlosen Ewigkeit eingeschlossen war, weit jenseits der Unendlichkeiten, die hinter dem Sternendunkel erahnbar waren: dann konnte das Kind lautlos seinen Wohltäter anrufen und in seiner Angst um Rat und Wegweisung bitten.
    Wenn die Strafe für die Sünde die Ewigkeit war und wenn diese unendlich war, gab es dann in dieser Unendlichkeit keine Gnade?
    Er war ja gezwungen gewesen, der Erzählung über das Wesen der Ewigkeit zu lauschen, die von einer der von der katholischen Inquisition meistgefürchteten Autorinnen geschrieben worden war, Mia Hallesby gerufen; gerufen! Es gab bestimmt eine Auflösung, wer sich hinter diesem scheinbar unschuldigen Frauennamen verbarg. Sie hatte festgelegt, dass die Ewigkeit, das Wort, das die Länge der Strafe bemaß , wie das Gleichnis über den Felsen im Meer und den Vogel war. Dieser Felsen war eine Meile lang, eine Meile breit und eine Meile hoch. Jedes tausendste Jahr kam ein Vogel zu diesem Felsen geflogen und wetzte seinen Schnabel daran. Wenn der ganze Felsen auf diese Weise abgewetzt war, dann war nur eine Sekunde der Ewigkeit verflossen .
    Die Mutter hatte ihm diese Erzählung vorgelesen, als wäre sie eines der Gleichnisse des Erlösers, und er hatte verstanden und sich eingeprägt, dass dies die Ewigkeit war .
    In der Nacht, wenn er, eingeschlossen in die Ewigkeit, erwachte, war der Wohltäter die Rettung. Er war da, durchbrach das Dunkel, ein Reisegefährte, der mit einer beruhigenden Geste die Hand hob . Diese Handbewegung war wortlos, aber gleichzeitig so gebieterisch und gewaltig, als wäre der Vater der Herrscher des Universums mit Macht über

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