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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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alles. Auch die Zeit. Ja, tatsächlich war er alle Zeit : Das Zeichen, das der Arm des Wohltäters gab, bedeutete dann Ruhe. Die Angst vor der entsetzlich ausgedehnten Ewigkeit verschwand, und das Kind bekam die Zeit zurück. Und weil gerade die Ewigkeit so erschreckend war, voll drohender Gefahren und im schlimmsten Fall Qualen, in fast jedem Fall, war die Anwesenheit des Wohltäters wichtig. Er saß ja im Inneren der Ewigkeit.
    Er gab Zeichen mit seiner Hand und seiner beruhigenden Armbewegung: und das genügte. Die Stimme des Vaters hört er nicht.
    Er versuchte einmal sich vorzustellen, dass der Vater eine Stimme hätte.
    Sie würde der tiefen männlichen Stimme gleichen, die er im Radioprogramm »Wenn der Krieg kommt« gehört hatte. Darin konnte man lernen, Spionen nicht zu trauen und schwarze Pappe vor die Fenster zu kleben. War dies die Stimme vonnem Elof? Nach einer kurzen Weile wusste er es besser. Aber die Zeichen waren deutlich, das Zeichen vonner rechten Hand, dass er sich keine Sorgen zu machen brauchte.
    Die Zeichen musste man ja deuten.
    Es hatte in der Apostelgeschichte gestanden, dass Zeichendeuter etwas völlig Natürliches waren, damit alle im Volkshaufen verstanden. Zuerst Feuerzungen am Pfingsttag, herabgesenkt von oben, aber nicht so, dass man sich daran verbrannte. Da verstand der ganze Volkshaufen, in dem die einzelnen verschiedene Sprachen sprachen; sie verstanden alles, welcher Zunge sie auch waren. Selbst war er nur das Kind, hatte aber eine besondere Verantwortung in der Familie. Ein Zeichendeuter, auf eine gewisse Weise Familienvater, das war etwas Besonderes.
    Man musste sich zusammennehmen, nicht in Hochmut, sondern für sich, und Verantwortung zeigen.
    Er hatte einmal eine Erklärung des Wortes Erwiderung gehört: Es bedeutete, dass man sich austauschte, ohne Worte, aber mit hinweisenden Handbewegungen und Feuerzungen.
    Das war die Bedeutung des Wortes.
    So waren die Gespräche zwischen ihm und ’m Elof. Es waren Handzeichen und Deutungen und Fragen. Auf diese Weise konnte man sich in schweren und extremen Lagen verständigen. Man hatte ein Problem und bekam einen Rat, und dann konnte man eine Weile darüber nachdenken und etwas erwidern, und dann grübelte er da oben im Himmel und erwiderte dem Kind: Er schickte gleichsam eine Feuerzunge herab. So erwiderten und erwiderten sie, und so wurde es ruhiger und weniger Punkt Schluss .
    Das konnte man tun, weil er tot war, und Wohltäter.
    Das war am Anfang. Und er bekam gleichsam einen treuen Freund .
    Fast wie einen Hund, wie es sein musste für die, denen die Gnade zuteil wurde, einen solchen zu bekommen. Was bei ihm nicht der Fall war, weil seine Mutter keinen Hundewelpen zu besitzen wünschte und auch keine Katze, weil die, die sie einmal gehabt hatte, auf den eisernen Herd geschissen hatte. Das war doch nur die eine Katze, hatte er gemeint, bestimmt waren nicht alle Katzenjungen so, es ist doch nicht erblich , hatte er da geflennt, aber die Mutter hatte nur gelacht, und immer noch keine Katze.
    Der Wohltäter hatte einen Namen. Nicht Nemo. Er hieß Elof.

Dann wird er älter und beginnt Trauer zu empfinden über seinen Vater.
    Er war ja ziemlich jung gestorben, was hatte er eigentlich erleben dürfen? Alles, was das Kind in der Lokalzeitung Norra Västerbotten las, vielleicht die Fußballergebnisse, wie es in der Küstenliga Nord stand, oder wie der Krieg verlief, über Panzerschlachten an der Ostfront, die Panzerschlacht bei Kursk! –, über all diese elementaren Ereignisse fehlte es dem Toten an jeglicher Information.
    Es konnte wohl nicht immer Spaß machen, nur tot zu sein. Zur Rechten Gottes zu sitzen. Straßen aus Gold gab es ja da oben im Himmel, hatte seine Mutter versichert, und vielleicht war es schön, nachmittags auf diesen Stadtstraßen spazieren zu gehen, als wäre es in Skellefteå, also in der Goldstadt! Auf diesen Goldstraßen spazieren zu gehen. Spannend am Anfang. Aber irgendwann wurde es doch wohl ein wenig eintönig? Gab es im Himmel den Wald? Oder Schutzwehren? Nur in der Goldstadt spazieren zu gehen und zwischendurch nur hinunterblicken zu können auf das Kind, das dort unten geblieben war, wo all das Spannende passierte, in der Küstenliga Nord oder in Kursk.
    War es da nicht seine Aufgabe, ’n Elof zu informieren und ihn teilhaben zu lassen? Teilhaben zu lassen an allem, was Spaß machte. Zu erzählen. Nicht zu verzerren. Nein, dem Vater die ganze Wahrheit mitzuteilen.
    Er begreift, was er zu tun hat. Er

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