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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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dem Heimgeholten, aber nur in aller Kürze. Er war wunderbar. Sie benutzt nicht dieses Wort. Vielleicht erwähnt sie den Heimgeholten einmal jedes Jahr, dann stets mit Freundschaft, fast Liebe, auf jeden Fall mit Respekt. Er war ja zum Schluss »durchgekommen« und erweckt worden. Aber es war ein hartes Stück Arbeit gewesen.
    Das Kind versteht zunächst nicht, von wem sie mit solcher Hochachtung spricht. Der Abwesende hat auf irgendeine Weise eine Beziehung zu dem Kind, aber nicht allzu sehr. Nicht so, dass es ihr klares Besitzverhältnis dem Kind gegenüber stört. Er hat immer noch ein wenig Kiefer an sich.
    Er ist fort. Schmerzlos betrachtet das Kind den Unsichtbaren. Das Kind schuldet dem Heimgeholten nichts, die Mutter schuldet ihm nichts, er ist in der Ewigkeit, er soll nicht betrauert werden. Trauer gibt es nicht in der Erinnerung an ihn, aber es gibt das Wort »de Elof«. Wo er ist, weiß das Kind nicht. Aber er ist. Er kann in der Nähe sein, aber gleichsam über ihm. Über den Wolken also.
    Hat er einen Namen? Lange fragt er sich. Dann erfährt er ihn. Elof. Per Elof. Per sollten alle Männer in der Familie heißen. Man erbte das, wie die Porphyrie.
    Die Zeichen verblassen, alles wird klar. Der Vater ist heimgeholt. Ist ziemlich nah, aber oberhalb – und außerhalb. Noch viel später im Leben wiederholt er papageienhaft den Standpunkt der Mutter, dass er seinen Vater nicht vermisst .
    Erst war das Schlafzimmer da, es lag im Obergeschoss. Darum herum war das Dorf. Dann kam das Land, das man auf Butterbrotpapier abzeichnen konnte. Dann die Welt.
    Aber über allem, doch ziemlich nah, ist der Vater.
    Er besitzt ein paar Sammelbildchen von Engeln, meistens abgehauene Kinderköpfe, die auf Rosenbetten ruhen. Die konnte man sammeln. Ein paar von diesen Engeln waren anders, stellten Männer dar, aber mit Flügeln. Sie gleichen Jesus. Das Kind – das da plötzlich vier Jahre alt ist – versteht, dass es Schutzengel sind. Er ist ganz sicher, dass der Vater ein solcher Schutzengel ist. Den Vater kann man dann erklären: Er ist ein Schutzengel, er ist im Himmel, also über dem Dachfirst, aber doch nicht höher als der Gipfel des Bensbergs, eines Berges der örtlichen Alpen von 112 Metern Höhe. Er ist jetzt äußerlich ein Mann, wie die noch lebenden Onkel. Er trägt den schwarzen Cheviotanzug mit weißem Hemd und Schlips, er hat einen Hut, einen dunklen abgerundeten, denn das hat der Junge auf Fotos gesehen, und er hat Flügel.
    Die Flügel sind weiß, und er sieht nettig aus, wenn er flattert.
    Wenn der Junge im Schlafzimmer am Fenster sitzt, die Eberesche davor und das verschneite Tal unter sich, verspürt er manchmal ohne Erlaubnis Angst, und fühlt sich einsam.
    Er kann einsam sein, auch wenn die Mutter zu Hause ist.
    Er denkt sich dann intensiv den Vater herbei , der sich fast immer offenbart. Er ist im schwarzen Anzug, und mit Flügeln. Sagt kein Wort zu dem Kind, sieht nur nettig aus und schlägt ein wenig mit den Flügeln, wie zu einer großen oder kleinen Aufmunterung. Das Kind, das jetzt vier Jahre alt ist und sehr bald sechs werden wird, es vielleicht schon ist, kann dann darüber nachdenken, wie der Vater ist und welche Ratschläge der Vater geben kann. Dass er jedes Mal kommt, herbeigerufen von den stillen Notrufen des Kindes!
    Es geziemt sich nur Hoffnung.
    Es geschieht besonders zur Winterzeit, wenn die Telefondrähte gegen den Resonanzkörper des grünen Hauses klingen, als wäre es eine Himmelsharfe , das Wort, für das er gelobt worden ist. Ein Lob, das so selten war, weil er sich in Demut üben sollte. Die Mutter war schier unmächtig geworden, als er dieses Wort zum ersten Mal aussprach, und hatte zu ihm gesagt: Per-Ola, du wirst noch einmal ein richtiger Verkünder, du!
    Es ist vor der Erschütterung seiner glaubensgewissen Geradlinigkeit durch Blixt Gordons Fahrt durch den Himmelsraum.
    Dass der Vater immer kommt, dass das Kind sich in Momenten äußerster Bedrängnis und Verirrung auf den Vater verlassen kann, führt dazu, dass es ihn sehr früh nicht nur als einen ordentlich in einen Cheviotanzug gekleideten Schutzengel mit kleinen Flügeln betrachtet, sondern halbwegs als Wohltäter.
    Als er wenig später – er ist jetzt acht Jahre alt – ein Buch mit dem Titel Die geheimnisvolle Insel liest, entdeckt er, dass die auf der Insel Gestrandeten von einem ähnlich gearteten Wohltäter Hilfe erhalten, Kapitän Nemo. Dieser ist der einzige Überlebende des Unterseeboots Nautilus. Verborgen im

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