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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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aufzulösen.
    Der Keller enthält nicht so viel, aber der Umzug nimmt ein paar Tage in Anspruch. Er findet Notizbücher wieder, Briefe, die Jesuskrippe sowie runde Hüte. Zur gleichen Zeit gibt es ein Klassentreffen, vierzig Jahre nach dem Realschulabschluss.
    Die Schule war eine Höhere Volksschule, ohne Prüfungsberechtigung, und seine Klasse war die erste im Kirchspiel, die den Realschulabschluss machte, was also privat während einer Prüfungswoche am Gymnasium in Umeå geschah. Er erobert die Graue Mütze, dann kann das Leben beginnen. Getreu dem Muster der Klassenreise seiner Mutter – von der Bauerstochter zur Lehrerin –, bewirbt er sich um einen Platz am Volksschullehrerseminar in Umeå; er würde, wie sie, Volksschullehrer werden .
    Es ist das Jahr 1951.
    Im Sommer arbeitet er wieder in der Schleiferei am Sägewerk in Bureå, hauptsächlich karrt er Rinde aus der Rindentrommel. Es dröhnt, und das Wasser tost, und er hasst es. Er begründet insgeheim ein lebenslanges Verständnis für die Notwendigkeit der Technologisierung von Arbeit.
    Er ist noch schmächtig, aber nicht mehr so sehr.
    Im August erhält er Bescheid, dass er nicht ins Seminar aufgenommen worden ist, sondern auf dem achten Reserveplatz steht. Er sieht eine Zukunft unter der Rindentrommel vor sich. War das der Sinn des Ganzen? Parallel hat er sich in Skellefteå um einen Platz am Gymnasium beworben; dort wird er angenommen. Am ersten Tag im Gymnasium kommt ein Anruf aus Umeå, man teilt ihm mit, dass viele Bewerber nicht angetreten seien und er vom achten Reserveplatz nachrücken könne. Er überlegt einige Stunden, entscheidet sich aber dafür, auf dem Gymnasium zu bleiben.
    Das Gymnasium bedeutet Unsicherheit, das Seminar Sicherheit. Da wäre er nach vier Jahren Volksschullehrer geworden und hätte vielleicht wie die Mutter eine Stelle in Hjoggböle angetreten. Statt dessen Abitur, und danach weiter, Uppsala, Kopenhagen, Berlin, Los Angeles und Paris.
    Was wäre besser gewesen? Er weiß es nicht. An alles in den vier Jahren in der Höheren Volksschule Bureå erinnert er sich scharf und klar, wie die Luft nach einem heftigen Regen. Die drei Jahre am Gymnasium sind blank. Nachdem er in den ersten vier Jahren einen gigantischen Sprung gemacht hat, scheint er nun in den folgenden Jahren mühsam voranzukriechen.
    Es kann mit Rektor Nilsson zu tun haben.
    Er grübelt oft über die Scheidewege im Leben nach. Es hatte an einem Tag gehangen.
    Einige Jahrzehnte später, 1975, hat er ein Theaterstück geschrieben, Die Nacht der Tribaden . Eine unglaublich schöne Journalistin von Danmarks Radio will heraufkommen und ein Interview mit ihm machen, er lehnt ab, nimmt aber den falschen Korridor im Dramaten und stößt aufgrund dieses Irrtums mit ihr zusammen, kann sich nicht entschuldigen, das Interview findet statt und verändert sein Leben. Sie geht im Korridor vorsichtig, beinahe schüchtern auf ihn zu, er ist vollständig gebannt, bricht aus seiner Ehe aus, heiratet sie, lebt fünfzehn Jahre mit ihr in Dänemark.
    Hätte er einen anderen Korridor genommen, wäre sein Leben vollständig anders verlaufen. Er weiß nicht, wohin die Scheidewege ihn führen.
    Unter den Notizbüchern und Papieren der Mutter findet er einen Nachruf auf den Vater, aus dem Norran ausgeschnitten.
    Er ist, dem Brauch entsprechend, von Wertschätzung geprägt. »Der plötzliche Todesfall hat hier höchste Betroffenheit hervorgerufen, und die Trauer der nächsten Hinterbliebenen ist groß und wird von der Bevölkerung am Ort geteilt, die den Verstorbenen als rechtschaffenen und guten Menschen kennengelernt hat.« So weit, so gut. Aber weiter unten, kurz vor dem Ende des Nachrufs, steht folgender Satz: »Elof Enquist war von ideellem Wesen, sowie auch Mitglied des Tempelritterordens.«
    Er starrt auf den Satz, und er traut seinen Augen nicht. Ganz am Ende des Nachrufs allerdings steht: »Sein letzter und höchster Wunsch war es, dieses Irdische zu verlassen und IHM zu begegnen, der sein Trost war«.
    Wer hat dies geschrieben? War es wirklich sein höchster Wunsch, dieses Irdische zu verlassen? Wer hat das geschrieben? Wie dem auch sei.
    Die Tempelritter!
    Er glaubt ungefähr zu wissen, wofür dieser sehr geheime, geschlossene und exklusive Orden steht und wie seine soziale Rekrutierung aussieht. Was ein dreißigjähriger Stauereiarbeiter aus Hjoggböle jedoch als Mitglied im Tempelritterorden von Skellefteå tut, ist ihm rätselhaft. Von wem vorgeschlagen? Und weshalb? Wie ist er

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