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Ein anderes Leben

Ein anderes Leben

Titel: Ein anderes Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Enquist
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im Gespräch mit einem Unsichtbaren. Und keiner sah, dass er seinen Vater dort auf die mit Fellen bedeckte Bank neben sich setzte, den Reisegefährten und Wohltäter, und alles war Freude und Glückseligkeit.
    Keine Trauer, kein Verlust. Der Tote ist dabei. Er ist der Reisegefährte auf dem Fluchtversuch.

Dann wurde er erwachsen, dachte nicht länger wie ein Kind, hatte keine kindlichen Gedanken. Aber der Reisegefährte folgte ihm. Es wurde unerlässlich, war nicht zu ändern. Das Kind wurde Vater, und de Elof wurde Kind. Er nahm den Vater mit in das, was er erlebte. In das, was dieser nicht hatte erleben können.
    Er erkennt nicht, dass er sich auf der Flucht befindet.
    Wenn der jetzt Erwachsene in einem Flugzeug sitzt und das Flugzeug startet, sitzt er neben dem Reisegefährten am Fenster, bewegt stumm die Lippen und sagt es ist nicht gefährlich und sieh mal wie klein und winzig die Autos erscheinen und das Haus da! Zu seinen Lebzeiten konnte de Elof ja nie fliegen, jetzt wird ihm die Welt durch das Flugzeugfenster gezeigt.
    Man kann den Toten Dinge zeigen. Wie ein Vater seinem Kind etwas zeigt.
    Er kann in einem sehr schnellen Zug zwischen Paris und Lyon sitzen, und der junge Vater daneben, der Reisegefährte auf der Flucht, nicht mehr in seinem schlecht sitzenden Cheviot-Anzug aus den dreißiger Jahren, nein, in einem legeren Anzug von Åhléns, wo es nicht zu teuer war. Aber doch ein Kind von einunddreißig Jahren, dem Erfahrungen fehlen.
    Dieser Zug ist von einem anderen Planeten. Es ist das erste Mal, dass de Elof diese neue Welt erfährt, und er braucht deshalb Anleitung und Unterweisung, aber freundlich! Mit Liebe!, weil der inzwischen gealterte Junge seinen einunddreißigjährigen Vater liebt; und an diesem Zug, der sehr schnell und ohne das geringste Schütteln mit mindestens dreihundertzwanzig Stundenkilometern durch die Landschaft gleitet, an diesem schwindelerregenden Zug und an dieser Geschwindigkeit hat der Reisegefährte teil. Er, der nie Zug gefahren ist, muss jetzt mit absoluter Notwendigkeit an diesem Erlebnis teilhaben, das die plötzlichen Bauchschmerzen und die Bewusstlosigkeit in der Krankenstation von Bureå unter den erfahrenen, aber hilflosen Händen Doktor Hultmans ihm verwehrt haben.
    Er erzählt ruhig und liebevoll, aber ohne sich zu überheben! Davon, wie der Zug geschaffen wurde, und dass der Vater keine Angst zu haben braucht. Hab keine Angst, Papa, kann der jetzt sehr erfahrene siebzigjährige Junge in dem sehr schnellen Zug zu seinem einunddreißigjährigen Vater sagen.
    Wenn er ins Theater geht, sitzt er schon früh an seinem Platz und erzählt dem Toten ein wenig von Strindberg oder von der Großen Bühne des Dramaten und jetzt fängt es gleich an . Und er flüstert kleine zusammenfassende Erklärungen es wird ohne Zweifel als eins der weltweit führenden Theater angesehen, dessen wir uns als Schweden mit gutem Grund rühmen dürfen . Dann würde der Vater fragen Haben sie deine Theaterstücke hier auch gespielt ? und er würde, ohne sich zu überheben, still nicken. Geht er ins Kino, denkt er, jetzt bekommt Papa zum ersten Mal einen Film zu sehen. Welchen Spaß ihm das machen wird, aber ein bisschen phantastisch wird er es auch finden. Dann macht alles noch einmal soviel Spaß.
    Der Reisegefährte ist ein Kind, und er selbst ist Vater. Wendet er sich dem Vater zu, kann er dessen intensives Betrachten sehen, das Neugierige, das Glückliche, das Überraschte, das vollständig Offene und Vorbehaltlose, und wie das amputierte Leben seines Vaters ganz still und schmerzlos in sein eigenes hinübergleitet.
    Hat er es wirklich nötig zu fliehen?
    Er weiß, dass die Mutter der Mensch ist, der ihn am stärksten beeinflusst hat in seinem Leben, ja eigentlich geschaffen hat. Auf seiner Flucht nimmt er den Vater mit. Jemand muss sich doch um ’n Elof kümmern. Er findet, dass dies seine Aufgabe ist. Nicht so, wie ein Vater seinem Jungen eine Lehre aufzwingt oder ihn mit Erwartungen konfrontiert, die wie ein Steinsack auf den Schultern des nun nicht mehr ganz jungen Kindes ruhen, sondern als hätten sie die Gestalt getauscht, wären aber jetzt wieder vereint, beide auf der Flucht.
    Der Reisegefährte hat jedoch keine Antwort auf die einfachste Frage: Warum es so gut anfing und dann so schlimm endete.

Kapitel 4
DIE KALBENDE KUH
    Im Sommer 1991 zieht die Mutter aus ihrer Wohnung ins Altenwohnheim Torparen in Bureå, sie wird im Jahr darauf sterben, und er kommt, um ihren Haushalt

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