Ein Band aus Wasser
stieg.
» Clio! Thais!« Wieder fiel sie auf die Knie und fasste in das Wasser, fühlte den seidigen Strom schwarzen Haars. Die Gesichter der Zwillinge tauchten auf, doch ihre Augen waren geschlossen, die Gesichter regungslos. » Helft mir!«, schrie Petra.
Gemeinsam mit Ouida, Richard, Luc und Jules zog sie die Zwillinge aus der Quelle. Bei der ersten Berührung wusste Petra: Eine war tot, die andere lebendig.
» Clio!«, sagte Richard mit aschfahlem Gesicht. Grob schubste er Petra zur Seite, hob Clios tropfenden Körper hoch und wiegte ihn in seinem Schoß, triefend nass, das schwarze Haar aus dem schönen, friedlichen Gesicht. Sanft wiegte er sie vor und zurück, strich ihr übers Gesicht, über die Haut, das Haar, glättete es unter seinen Fingern, sein Gesicht eine Maske aus Schmerz. » Clio, Clio, Clio«, flüsterte er.
Richard?, dachte Petra wie im Nebel.
Wenige Meter entfernt hatte Luc Thais auf die Seite gedreht und schlug ihr wieder und wieder mit der flachen Hand auf den Rücken. Sekunden, die sich wie ein ganzes Leben anfühlten, wartete Petra, und als Thais schließlich hustete und Wasser aus ihrem Mund rann, glaubte sie zu halluzinieren.
» Thais, Thais«, murmelte Luc, während er sie festhielt und ihr über den Rücken strich. Thais würgte, hustete und sog schließlich tief den Atem ein. Sie lebte. Ein Mädchen hatte Petra verloren, eins war ihr geblieben.
» Ich brauche sie beide«, sagte Melita leise. Wütend versuchte Richard, sich ihr in den Weg zu stellen, doch Melita ließ sich wie ein Raubvogel fallen und stieß ihre Faust fest in Clios Brust. Die wenigen Worte, die sie ausspie, klangen, als stammten sie direkt aus der Hölle. Nur dass niemand von ihnen an die Hölle glaubte, wie Petra wusste.
Richard starrte auf Melita. Vor Petras Augen schien Clios bleiches Gesicht wieder Farbe zu bekommen, genau wie in dem Kinderfilm von Schneewittchen. Melita konnte Leben schenken, genauso wie sie es nehmen konnte.
Kapitel 38
Thais
Ich schlief, und das Nächste, was mir zu Bewusstsein kam, war, dass ich hustete und Wasser hochwürgte, während mir jemand fest auf den Rücken klopfte.
Erschöpft blinzelnd merkte ich, dass ich auf nassen Blättern auf der Erde lag und es regnete. Das einzig Warme an mir war die Hand auf meinem Rücken. Ich sah mich um. Petra saß ein paar Meter von mir entfernt. Sie wirkte leidgeprüft, ja beinahe ausgemergelt. Luc schwebte über mir. Seine Hand auf meinem Rücken. Ich hatte geglaubt, ihn nie wiederzusehen. Als ich jetzt begriff, dass ich noch lebte und er bei mir war, fing ich an zu weinen. Trotzdem versuchte ich, mich aufzusetzen.
» Wo ist Clio? Wo ist meine Schwester?« Sie war vor meinen Augen gestorben. Ich hatte es gesehen, hatte es gefühlt.
» Schsch«, machte Luc und strich mir über das durchnässte Haar.
» Wo ist Clio?«, fragte ich, meine Stimme nur noch ein Krächzen.
» Hier.«
Ich drehte mich um und sah, dass Richard Clio wie hypnotisiert anstarrte. Ich hatte recht, dachte ich. Er liebt sie.
Und sie war tot.
Nur, dass sie blinzelte.
Blinzelte? Ich setzte mich auf.
Meine Schwester lebte.
Kapitel 39
Clio
Gibt es ein weißes Licht, einen Tunnel und bereits verstorbene Menschen, die die Hände nach einem ausstrecken?
Vielleicht. Ich werde euch die Überraschung nicht verderben.
Richard hielt mich fest, streichelte mir übers Haar. Thais lebte. Und Petra auch.
Alle Mitglieder der Treize waren da: Claire und Jules, die sich an den Händen hielten. Sophie, die über Manons Körper weinte. Ouida, die neben Daedalus niederkniete. Marcel neben Sophie. Axelle, die inzwischen ebenfalls eingetroffen war und sich auf der anderen Seite von Daedalus niedergelassen hatte. Sein schlechter Zustand schien ihr erstaunlich nahezugehen.
Und Luc, der sich für Thais entschieden hatte, nichts für mich. Nervös hielt Richard mich noch fester, als er merkte, wie ich zu Thais und Luc hinübersah. Mein Blick wanderte zu ihm zurück, ich schaute in seine dunklen Augen, in denen sich alle Gefühle widerspiegelten, von denen ich niemals geglaubt hätte, dass er sie hatte: Furcht, Hoffnung, Liebe – was auch immer es gab, ich erblickte es in seinen Tränen.
» Ich bin froh, dich zu sehen«, flüsterte ich und streckte die Hand aus, um sein Gesicht zu berühren.
Kapitel 40
Wieder von vorn
Richard blieb vor Petras Tür stehen. Im Inneren des Hauses fühlte er sie, Ouida und Luc. Er zog eine Grimasse. Nun denn, er konnte es genauso gut gleich hinter sich
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