Ein bisschen schwanger
schneller, nicht langsamer. Nun hatte es keinen Sinn mehr, sich zu verstecken. Ich war ganz hinter dem Vorhang hervorgetreten. Patrick hatte mich angegrinst, gewunken.
»Hallo, Linda! Hallo, Melanie!«
Sie hatte also auch am Fenster gestanden und wieder einmal alles mitbekommen.
Eine Zeit lang hatte Patrick noch mit seiner Zeremonie weitergemacht, alle Geschenke von mir, Kuscheltiere, Fotos, Erinnerungen, mit theatralischer Gebärde in der Emscher zu entsorgen.
Wie lange Melanie sich das angesehen hatte, wusste ich nicht. Ich jedenfalls hatte mich erst von der Scheibe lösen können, als Patrick endlich gegangen war.
Ich fuhr mir mit den Händen über das Gesicht. Einmal musste Schluss sein! Sein Akt gestern Abend musste einfach der letzte gewesen sein! Jetzt wollte ich endlich meine Ruhe haben!
Der Rest des Sommers gehörte mir!
Jetzt!
8. September, 8 Uhr
Tage, die so gut begannen wie dieser, hatte es schon lange nicht mehr gegeben, also musste ich sie nutzen. Ich ging ins Bad und duschte so kalt, dass es ein Leichtes war, mir vorzustellen, das Wasser käme direkt aus einer Quelle im Gebirge.
Ich mag das Gebirge, weil es ein Ort ist, an den Patrick mir nicht folgen würde: Er hat Höhenangst, er hasst Wege, die er nicht mit dem Auto befahren kann, und in die Alpen würde er nie reisen, weil er die Bayern wegen ihres Münchener Fußballvereins nicht ausstehen kann. Patrick ist ein Idiot und das ist eigentlich nicht schwer zu merken. Trotzdem hatte ich über ein Jahr dafür gebraucht. Fünfzehn Monate waren wir zusammen gewesen.
Diese fünfzehn Monate hatten ihre Spuren hinterlassen.
Da ich überzeugt war, mittlerweile etwas klüger zu sein, und hoffte, ihn endlich und für immer los zu sein, mussten auch die letzten Abdrücke seiner Finger von meinem Körper verschwinden. Ich seifte und schrubbte, scheuerte und spülte. Keines seiner schönen Wörter wollte ich mehr in meinem Gehörgang finden, schon gar nicht sein weinerliches »Viep!«, diesen hohen, fiesen Ton, der juckte und piekste und selbst heute noch immer irgendwo feststeckt, wo ich nicht hinkomme.
»Viep!«, hatte er immer gerufen, wenn er traurig und weiner‑
lich war. Er war darauf gekommen, weil einmal ein Auto an uns vorbeifuhr, das aus Viersen kam und das Nummernschild VIE–P hatte. Patrick fand das süß.
»Linda, guck mal: Das Auto heißt Vieeep! Das müsstest du haben, du bist auch mein Mäuschen: Vieeep!«
Damals war ich absolut gerührt gewesen. Patrick, ein Junge mit Phantasie und Gefühl! Einmal, ich hatte zum ersten Mal versucht, ihm den Laufpass zu geben, hatte er sich spätabends in sein Auto gesetzt und war nach Viersen gefahren, was gut 100 Kilometer von uns entfernt liegt. Dort war er dann die halbe Nacht durch die Stadt gekurvt, so lange, bis er ein Auto mit ebendiesem Nummernschild gefunden hatte. Er hatte sich davor gestellt, mit Selbstauslöser fotografiert und das Foto als Aufmacher für eine selbst gestaltete Linda-komm-zurück-zu-mirPostkarte benutzt.
Nie wieder werde ich zu ihm zurückgehen, aber eins muss ich ihm auch heute noch lassen: Ideen hat er. Und wenn er mich so von unten herauf mit seinen großen blauen Augen bittend ansah, dann war es verdammt schwierig, ihm zu widerstehen.
Ich schloss die Augen, verdrängte Patrick und dachte wieder an meinen Gebirgsbach. Wie er sprudelte, wie die Forellen an mir vorbeiflitzten, wie die weißen Kiesel leuchteten, wie rein und sauber er war!
Dann sprang ich aus der Dusche und nahm eine Oberflächen-Musterung vor dem Spiegel vor. Auch eine Woche nach unserer letzten Berührung sah ich auf meinem Körper noch seine Spuren.
Der Knutschfleck am Hals war von ihm.
Den juckenden Ausschlag auf der Brust hatte ich bestimmt auch ihm zu verdanken. Bevor wir zusammen waren, hatte ich nie Probleme mit der Haut gehabt.
Vor allem auch keine mit der Figur. Gut, meine Periode war mal wieder fällig, und in dieser Zeit kam ich mir oft wie aufgebläht vor. Aber diesmal war ich für meinen Geschmack richtig rundlich und viel zu weiblich geworden! Patricks Schuld! Wahrscheinlich hatte ich bei dem ganzen Stress mit ihm viel zu viel Süßes in mich hineingestopft!
Und den blauen Fleck am Oberschenkel hatte ich mir im Wohnzimmer seiner Großeltern zugezogen. Die machten Dauerurlaub auf Mallorca, daher hatten wir uns zum Kuscheln in der leeren Wohnung getroffen. Wir hatten miteinander gestritten und er hatte mich gegen den Couchtisch gestoßen. Komisch, in dem Moment hatte ich den
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