Ein bissfestes Abenteuer
uns gehen«, sagte Silvania schließlich.
Helene nickte. »Ich erkläre die OLS für heute beendet.«
Die Mädchen waren schon fast beim Holzzaun angekommen, als sich die Haustür nochmals öffnete. Ludo streckte den Kopf heraus. »He!«, rief er und die drei Freundinnen drehten sich um. »Ich wollte euch nur sagen ...« Ludo zögerte und fixierte Daka und Silvania mit den Augen. »Geht heute auf keinen Fall ins Kunstpalais.«
Die Zwillinge warfen sich einen erstaunten Blick zu, und im nächsten Moment flog die Haustür wieder zu.
»Aber ... warum?«, rief Silvania.
Doch es war zu spät. Das Haus stand stumm da und sah sie mit den Fensteraugen finster an.
Millionenschwere
Prunkstücke
R ose Wagenzink arbeitete seit acht Jahren als fest angestellte Museumsführerin für das Kunstpalais Bindburg. Zuvor hatte sie viele Jahre beim museumspädagogischen Dienst gearbeitet. In der Zeit hatte sie in fast allen Museen der Stadt Führungen veranstaltet. Sie galt als hervorragende Spezialistin auf dem Gebiet der Malerei des 19. Jahrhunderts. Ihr zweites Spezialgebiet war die japanische Kunst. Während ihres Studiums, bevor sie Opa Gustav kennenlernte, hatte sie ein Jahr in Osaka gelebt. Es hatte ihr sehr gut gefallen. Aber nicht so gut, dass sie bleiben wollte.
Seit letztem Wochenende hatte Oma Rose mehr als üblich im Kunstpalais zu tun. Dem Leiter des Kunstpalais, Herrn Dr. Cornelius Dieskau, war es nach zähen Verhandlungen und intensiven Bemühungen gelungen, einen lang gehegten Traum zu verwirklichen: Er hatte es geschafft, eine Ausstellung über die japanische Kunst der Edo-Zeit ins Kunstpalais zu holen. Besonders stolz war er auf mehrere Leihgaben des Tokyo National Museums. Darunter waren Stücke, die über eine Million Euro wert waren.
Der Besucheransturm nach der Eröffnung am Wochenende war enorm gewesen. Herr Dr. Cornelius Dieskau war entzückt. Rose Wagenzink war im Stress. Sie bot drei Führungen am Tag an. Eine am Vormittag, eine am Nachmittag und eine am Abend, bevor das Museum schloss. Heute freute sie sich besonders auf die letzte Führung des Tages. Nicht weil sie dann endlich Feierabend hatte – obwohl, deswegen sicher auch –, sondern vor allem, weil ihre Enkeltöchter Silvania und Daka an der Führung teilnahmen. Ihre Kunstlehrerin, Frau Meusinger, hatte den Vorschlag gemacht. Oma Rose fand, Frau Meusinger war eine kluge, patente Frau.
Die letzte Führung begann um 17:30 Uhr. Daka und Silvania erschienen um 17:29 Uhr im Kunstpalais. Rose Wagenzink begrüßte ihre Enkeltöchter herzlich, dann zog sie ihre graublaue Kostümjacke glatt und wandte sich der Besuchergruppe zu, die sich zur Führung eingefunden hatte. »Herzlich willkommen im Kunstpalais zu unserer Sonderausstellung zur japanischen Kunst der Edo-Zeit.« Rose Wagenzink lächelte, einige Besucher lächelten zurück. »Wohl kaum jemand kann sich der Faszination der japanischen Kunst entziehen. Sie anscheinend auch nicht, sonst wären Sie nicht hier.« Die Museumsführerin lächelte abermals. »Besonders vielfältig war die Kunst während der Edo-Zeit, also von 1615 bis 1868.«
Rose Wagenzink warf kurz einen Blick auf Silvania und Daka. Silvania hielt einen Block in den Händen und schrieb eifrig mit. Daka grinste ihre Oma an.
»Beginnen wir nun mit dem ersten Ausstellungsraum, in dem wir die Rekonstruktion eines Raums zur Teezeremonie vorfinden.« Rose Wagenzink ließ den Besuchern mit einer Armbewegung den Vortritt.
Zusammen mit den anderen Besuchern folgten Daka und Silvania ihrer Oma durch die Ausstellungsräume. Oma Rose nickte ihren Enkeln immer wieder aufmunternd zu. Vor allem, wenn sie die Besucher dazu aufforderte, Fragen zu stellen. Ein Mann fragte: »Halten Sie es für möglich, dass die Künstlerin mit der Perspektivwahl eine Sozialkritik äußern wollte?« Eine Frau wollte wissen: »Wie ist das Gemälde im großen kunsthistorischen Zusammenhang einzuordnen?«
Oma Rose mochte solche Fragen nicht. Nicht weil sie darauf keine Antwort wusste, sondern weil sie die Fragen langweilig fand. Sie war froh, als Daka sich erkundigte, warum die Frau auf dem Bild Mikadostäbe im Haar hatte. Das war eine interessante Frage.
Im vorletzten Raum versammelte sich die Besuchergruppe um einen großen Fächer. »Das ist ein ganz besonderes Ausstellungsstück«, erklärte Rose Wagenzink. Der Fächer leuchtete rosarot. An einer Seite waren mit goldener Farbe zarte Äste aufgemalt. Daran hingen winzige weiße Blüten. Ein hellblauer
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