Ein Blick sagt mehr als 1000 Worte
lassen. Er stürzte sich in Arbeit und Offshore-Rennen. Sich bis an die Grenzen zu treiben, gewährte ihm eine gewisse Befriedigung. Er liebte die Geschwindigkeit, das Risiko und den Adrenalinkick, das Wissen, dass der Tod nicht weiter als einen Überschlag mit dem Boot entfernt war. Vermutlich hoffte sein Unterbewusstsein sogar darauf.
Seit nunmehr fünfzehn Jahren schlug er dem Tod ein Schnippchen. Manchmal fragte er sich, ob das vielleicht die Strafe für seine ersten Zweifel an der Vaterschaft war.
„Doch, du bist mir aufgefallen“, sagte er abrupt zu Gina.
Sie hatte eine beruhigende Wirkung auf ihn ausgeübt. Das unscheinbare Mädchen mit dem sanften Lächeln hatte seiner Seele gutgetan. Die ersten beiden Jahre nach Cristinas Tod konnte er Frauen nicht einmal ansehen. Als er dann wieder mit den Verabredungen begann, waren es nur flüchtige sexuelle Affären gewesen. Er wählte bewusst Frauen, die seine Bedingungen akzeptierten. Gina aber war anders gewesen. Ihr Enthusiasmus hatte ihn an die sorgenfreien Tage von früher erinnert, er war gern mit ihr zusammen gewesen. Erst als er mit dem Gedanken gespielt hatte, sie zu fragen, ob sie mit ihm zusammen nach Italien zurückkehren wolle, war ihm bewusst geworden, wie gefährlich nahe er davorstand, Gefühle für sie zu entwickeln. Daher hatte er die Affäre beendet. Für ihn hingen Liebe und Schmerz immer zusammen, und beides wollte er nicht mehr erfahren.
„Du warst so niedlich und schüchtern, und du hast mich angestarrt, wenn du glaubtest, ich würde es nicht bemerken“, erinnerte er sich. Sie schien so unschuldig gewesen zu sein, auch wenn sie ihm versichert hatte, schon Freunde gehabt zu haben.
Niedlich. Eine wenig schmeichelhafte Beschreibung für einen verliebten Teenager, dachte Gina. Aber genau das war sie vor zehn Jahren gewesen. Gina erinnerte sich noch gut an das aufgeregte Herzklopfen, jedes Mal, wenn sie in seiner Nähe gewesen war. So wie jetzt, gestand sie sich zerknirscht ein. Allerdings war sie inzwischen eine selbstsichere Karrierefrau – wenn auch im Moment ohne Karriere –, die ihre Gefühle kontrollieren konnte.
„Stimmt, damals war ich bis über beide Ohren in dich verliebt“, erwiderte sie leichthin. „Was nicht verwunderlich ist, schließlich war ich auf einer reinen Mädchenschule und hatte bis dahin nur wenig Kontakt zum anderen Geschlecht.“
„Warum hast du vorhin nicht gesagt, dass wir uns schon kennen?“, fragte er.
Sie zuckte mit den Schultern. „Es ist so lange her, ich habe dich zuerst gar nicht erkannt.“
Sein spöttisches Lächeln sagte ihr, dass er ihre Lüge durchschaut hatte. Glücklicherweise waren sie bei dem modernen Gebäudekomplex angekommen, in dem ihr Apartment lag. Gina verlangsamte ihre Schritte und blieb stehen.
„Tja, dann … Ich wohne hier.“ Sie musste sich unbedingt seiner Nähe entziehen, bevor sie sich komplett zum Narren machte. „War nett, dich getroffen zu haben.“
Doch statt ihr eine gute Nacht zu wünschen, trat Lanzo lächelnd an sie heran. „Lange kannst du noch nicht hier wohnen. Als ich letztes Jahr hier war, stand dieser Komplex noch im Bau.“
„Ich bin vor vier Monaten aus London wieder hergezogen.“
„Muss eine große Umstellung gewesen sein“, vermutete er.
Sie nickte. „Ich hatte ganz vergessen, wie ruhig es hier ist.“
„Was hast du in der Stadt gemacht? Ich gehe davon aus, dass du nicht mehr als Kellnerin gearbeitet hast?“ Sein Blick glitt über ihr Seidenkleid und die eleganten Sandaletten. Es war praktisch unmöglich, diese Frau mit dem lockenköpfigen jungen Ding von damals in Verbindung zu bringen.
„Bis vor Kurzem war ich die Assistentin für den Vorstand der Meyers Warenhauskette. Als mein Chef sich zur Ruhe setzte, beschloss ich, die Firma zu verlassen. Es gab mehrere Gründe, warum ich aus London wegziehen wollte.“ Nicht zuletzt die nächtlichen Anrufe ihres Exmannes. „Mein Vater erlitt zu Weihnachten einen Herzinfarkt. Glücklicherweise hat er sich gut erholt, aber ich wollte wieder näher bei meiner Familie wohnen. Dads Krankheit hat mir klargemacht, dass man nie wissen kann, was die Zukunft bringt.“
„Stimmt“, sagte Lanzo seltsam tonlos. Gina schaute ihn verwundert an, doch seine Miene war undurchdringlich. „Viel zu oft nehmen wir die, an denen uns liegt, als selbstverständlich an.“
„Hier in Poole arbeitete ich dann als Assistentin eines hiesigen Bauunternehmers. Doch leider war Hartman Houses im Zuge der Wirtschaftskrise
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