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Ein bretonisches Erbe

Ein bretonisches Erbe

Titel: Ein bretonisches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valerie Menton
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völlig neue Bedeutung für sie.
    Da bis zum Gottesdienst noch etwas Zeit blieb, trieb sie die Neugier, welche Pierre Lotis Buch in ihr geweckt hatte, auf den kleinen Friedhof, der die Kirche umgab.
    Die Wege waren mit hellem Kies bestreut und verliefen geradlinig zwischen den teilweise verfallenen Gräbern. Der gesamte Kirchhof war von einer Bruchsteinmauer eingefriedet, die über und über mit marmornen Gedenktafeln behängt war, deren Schrift teilweise in der rauen Seeluft verwittert, zum Teil aber auch von den langen Trieben des immergrünen Efeus überwuchert war.
    Perdu en mer oder péri en mer, auf See umgekommen, im Meer verschwunden, war immer wieder darauf zu lesen. Und als sie die Namen studierte, stellte sie fest, dass nicht selten alle männlichen Nachkommen einer Familie den Tod auf See gefunden hatte. Väter, Söhne, Brüder, oft auf demselben Schiff oder auch, durch Jahre getrennt, auf verschiedenen Schiffen. Fast immer aber traf es viele zugleich, ein ganzes Schiff mit seiner Besatzung, und es traf sie meistens, wie in Lotis Roman über Gaud und Yann, in den fernen Gewässern vor Island .
    Als Yuna die Inschriften betrachtete, wurde ihr beklommen zu Mute, denn sie konnte zu gut nachempfinden, wie verzweifelt Gaud gewesen sein musste, als sie in der Kapelle die Namen der jungen Toten las und doch selber auch um die glückliche Rückkehr des längst überfälligen Schiffes ihres geliebten Yann bangte.
    Im Meer verloren in der Gegend von Norden-Fjord …
    Würde sie vergeblich warten? Würde ein Orkan auch Yann und sein stolzes Schiff im Eismeer vor Island versinken lassen? Am liebsten wäre Yuna nach Hause geeilt, um das Buch auf der Stelle weiter zu lesen.
    „Yuna, träumst du?“
    Jemand berührte sie leicht am Arm. Es war Julien, der sie schon eine Weile beobachtet hatte und nun leise hinter sie getreten war. Es rührte ihn, wie sie so versunken und offensichtlich erschüttert vor der Klagemauer mit den Gedenktafeln stand. Auch seine Familie, die zu den ältesten im Ort gehörte, hatte ihre Opfer bringen müssen und Yunas Empfindsamkeit in diesen Dingen war ihm wichtig, denn sie bestimmten immer noch in einem ganz erheblichen Maße das Leben und Geschick ihres bretonischen Zweiges.
    Yuna schrak auf, doch als sie Julien erkannte, war sie sich sicher, dass alles sich zum Guten wenden würde. Angesichts der schrecklichen Schicksale, an die hier erinnert wurde, durften sie beide doch nicht so undankbar sein und wegen einer Lappalie alles auf´s Spiel setzen.
    Julien sah das wohl auch so, denn er sagte leise:
    „Es tut mir leid, Yuna, ich wollte dich nicht verletzen. Ich habe mich daneben benommen und dich nicht mit der Liebe und dem Respekt behandelt, die ich dir doch eigentlich von ganzem Herzen entgegenbringe. Kannst du mir verzeihen?“
    Yuna traten Tränen in die Augen, weil seine Worte so einfach und klar und ganz offensichtlich ehrlich gemeint waren. Sie griff ohne ihn anzuschauen nach seiner Hand und den Blick weiter auf die Gedenktafeln gerichtet, sagte sie: „Der Wind bläst wohin er will, aber deswegen muss man sich doch von ihm nicht umblasen lassen.“
    Julien lachte leise. „Du bist eine kluge Frau, warst du auf dem Skulpturenpfad?“
    Sie nickte. „Ja, gestern und ich habe begriffen, dass man ein Haus gegen den Sturm bauen muss, dann rüttelt er nur an den Fensterläden, egal aus welcher Richtung er weht. Vielleicht deckt er auch mal das Dach ab, aber er wird es niemals umblasen, wenn es wie An Triskell aus Granit und Felsstein gebaut ist.“
    Julien zog sie in seine Arme. „Stimmt und das in der Bar Jeux war nur ein ganz unbedeutendes kleines Lüftchen. Es kann uns wirklich nichts anhaben, nicht wahr?“
    Yuna nickte und ließ es fürs erste dabei bewenden, denn an diesem Ort wollte sie keine Diskussion. Schweigend schlenderten sie Arm in Arm noch ein wenig über den Kirchhof, der sich nun jedoch mit weiteren Besuchern des Festes zu füllen begann. Viele von ihnen waren schon sehr alt und trugen ihre bretonischen Trachten mit den breiten Hüten und auffälligen Hauben.
    „Möchtest du auch in die Kirche gehen?“ fragte Julien gerade als Yuna eine Entdeckung machte. Zwischen all den hellen Marmortafeln war ihr eine kleine unscheinbare, polierte Platte aus rosa Granit aufgefallen und als sie näher hinsah setzte ihr Herzschlag für einen Moment aus und sie blieb abrupt stehen.
    „Was ist?“, fragte Julien, der ihr Stocken bemerkt hatte. Sie deutete mit dem Kopf auf die Tafel.

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