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Ein bretonisches Erbe

Ein bretonisches Erbe

Titel: Ein bretonisches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Valerie Menton
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Wasser begann in die fast vollkommen trocken gefallene Bucht zurückzulaufen. Yuna blickte zu der kleinen Felseninsel mit dem großen weißen Kreuz hinüber, die der Küste vorgelagert war. Zu gerne wäre sie einmal dorthin gewandert., schade das ihr der Regen gestern einen Strich durch diesen Plan gemacht hatte.
    Es gab nur einen einzigen Weg, um auf die Insel zu gelangen, und der führte über die Chaussée du diable , eine nur bei Ebbe sicher begehbare Furt, die durch ein von Schwemmsand gebildetes und von Prielen durchzogenes gefährliches Watt führte.
    Es war nicht ratsam sich da seinen eigenen Weg zu suchen, denn leicht konnte man im Sand tief einsinken oder durch einen plötzlich volllaufenden Priel vom Festland angeschnitten werden. Immer wieder hatte Yuna Hubschrauber beobachtet, die in den Sommermonaten leichtsinnige Touristen bergen mussten, die in Unkenntnis der Gefahr mit ihren Kindern im Watt festsaßen.
    Dennoch schien sie das fast drei Meter hohe Kreuz auf der Insel wie magisch in seinen Bann zuziehen und sie schaute gerade mit sehnsüchtigem Blick hinüber, als sie plötzlich eine schattenhafte Bewegung an seinem Fuße fesselte. Sie kniff die Augen zusammen, um schärfer sehen zu können, und erkannte nun recht deutlich den Umriss einer schwarz gekleideten, verschleierten Frau. Sie lehnte am Sockel des Kreuzes und blickte offenbar hinaus auf das Meer. Sofort fiel Ihr Gaud ein. Gaud am Witwenkreuz, Ausschau haltend nach der Leopoldine , dem Schiff ihres Geliebten.
    Aber Gaud war lange tot, wenn sie denn je gelebt hatte, und nicht nur der Fantasie des Schriftstellers Pierre Loti entstammte.
    Aber wer war diese Frau? Und was machte sie jetzt noch auf der Insel? Die Passage war bereits vom Wasser überspült, ein Rückweg trockenen Fußes unmöglich.
    War eine der alten Frauen, die in der Prozession mitgegangen waren, zur Insel hinüber gewandert und hatte dabei die Zeit versäumt?
    Yuna musste Julien auf sie aufmerksam machen.
    „Julien“, sagte sie aufgeregt. „Da ist noch jemand auf der Insel. Eine Frau…“
    Sie deutete zum Kreuz.
    Julien beschirmte seine Augen mit der linken Hand und sah hinüber. Das Kreuz zeichnete sich weiß und strahlend gegen den blauen Himmel ab. Ein paar Wölkchen klumpten sich weit am Horizont zu bizarren Gebilden zusammen.
    „Wo? Wo ist sie?“, fragte er. „Ich kann niemanden entdecken.“
    „Neben dem Kreuz“, sagte Yuna und deutete mit der Hand hinüber. „Eine Frau in einem schwarzen Kleid mit einem Schleier.“
    Sie konnte sie immer noch deutlich sehen.
    Julien folgte mit seinem Blick ihrer Handbewegung, meinte nach einer Weile jedoch:
    „Ich sehe niemanden. Bist du sicher, dass es sich nicht um eine Sinnestäuschung handelt?“
    „Sinnestäuschung?“ Yuna war empört. Sicher, sie hatte schon einige ungewöhnliche Wahrnehmungen gehabt, seit sie hier war, aber das hier war doch etwas anderes, schließlich war es heller Tag. „Was soll daran eine Sinnestäuschung sein?“, sagte sie darum etwas schnippisch. „Da steht sie doch. Klar und… deutlich…?“
    Es war wie verhext. Im selben Moment als sie es sagte, war die Gestalt verschwunden. Sie konnte eigentlich nur hinter das Kreuz getreten sein, was hieß, dass sie da auch bald wieder hervorkommen würde. Oder hatte Julien Recht? War auch sie bloß eine Halluzination und in Wirklichkeit nie da gewesen?
    Weil Yuna bei diesen Gedanken ziemlich verstört aussah, legte Julien liebevoll tröstend seinen Arm um sie.
    „Es ist das Witwenkreuz der Islandfischer“, sagte er verständnisvoll. „Du bist nicht die Erste, die glaubt, dort eine wartende Frau zu sehen. Es beschäftigt die Fantasie. So wie die Leute in der Gegend von Paimpol immer wieder Gaud zu sehen glauben, so spinnen sich auch hier Legenden um unglückliche Seefahrerwitwen, deren Männer auf See verschollen sind und die darum als ruhelose Geister angeblich noch immer hier auf sie warten.“
    Nach seinen Worten, war Yuna sich sicher, dass eine Sinnestäuschung ihr einen Streich gespielt hatten. Noch ganz unter dem Einfluss des zu Herzen gehenden Romans war sie gewiss durch das zufälligen Spiel des Lichtes verwirrt worden. Dennoch…
    „Gehst du mit mir einmal hinüber zur Insel?“, fragte sie.
    Julien lachte.
    „Wenn du dich mit mir über die Straße des Teufels traust, warum nicht.“
    „Klar, traue ich mich“, gab sie mit trotziger Stimme zurück. „Wir müssen einfach nur genau auf die Gezeiten achten, dann ist doch nichts dabei.“

    Das

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