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Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser

Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser

Titel: Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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Generation war erwachsen geworden, seit er hinter Gittern verschwunden war; aber jetzt öffneten sie sich wieder für ihn. Während er im Büro des Direktors stand und der Wollstoff des Zivilanzuges ihn kratzte, überlegte er: ›Den ersten, der zwanzig Jahre alt ist, werde ich anreden und sagen, Kind, werde ich sagen, ich bin jemand, den du in deinem ganzen Leben noch nie gesehen hast. Ich gehöre zu denen, die an nichts schuld sind, denn solange du lebst, habe ich gesessen. Zwanzig Jahre!‹
    »Fünfzig sind noch kein Alter«, sagte der Direktor. Viele Menschen beginnen mit Fünfzig eine neue Karriere, Beggs. Lassen Sie sich nicht unterkriegen, denn Sie wissen, wohin das führt.«
    »Wohin denn?« sagte Beggs verträumt; er wusste zwar die Antwort, wollte jedoch, dass das Gespräch noch weiterging – wollte irgendetwas, was den Augenblick hinauszögerte.
    »Das wissen Sie selbst. Und Sie wären nicht der erste, zu dem ich heute Auf Wiedersehen und morgen Guten Tag sage.« Er räusperte sich und raschelte mit Papieren. »Wie ich sehe, haben Sie Familie.«
    »Hatte«, sagte Beggs nicht ohne Bitterkeit.
    »Ihre Frau hatte für Besuche nicht viel übrig, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Und das Geld, das Sie gestohlen haben...«
    »Welches Geld?«
    »Schon gut«, sagte der Direktor seufzend. »Jetzt erinnere ich mich wieder. Sie sind einer von den Unschuldigen. Na schön. Das ist die Sorte, die ich am liebsten weggehen sehe.«
    Die Hand war ausgestreckt. »Viel Glück, Beggs. Ich hoffe, Sie finden draußen, was Sie sich erhoffen. Wenn ich könnte, würde ich Ihnen einen guten Rat mit auf den Weg geben.«
    »Schon gut, Herr Direktor. Trotzdem vielen Dank.«
    »Eine‘s möchte ich Ihnen dennoch raten.« Er lächelte wohlwollend. »Färben Sie sich ihre Haare.«
    »Danke«, sagte Beggs.
    Er war draußen. Er wusste, dass Edith nicht auf der anderen Seite der Mauer warten würde; trotzdem blieb er stehen und blickte in beide Richtungen, um sich dann, keine zehn Meter vom Gefängnistor entfernt, auf einen Hydranten zu setzen und eine Zigarette zu rauchen. Über sich hörte er das unterdrückte Lachen eines Wächters, der auf der Mauer entlangging. Dann stand er auf und schlen- derte zu der Bushaltestelle hinüber. Er setzte sich auf die hinterste Bank und betrachtete während der ganzen Fahrt in die Stadt sein weißes Haar, das sich im Fenster spiegelte. ›Ich bin ein alter Mann‹, überlegte er. ›Aber so ist es nun mal.‹
    Den größten Teil seines Entlassungsgeldes hatte er in zwei Tagen verbraucht. Ein Teil ging für Unterkunft, neue Kleidung, Lebensmittel und Fahrgeld drauf. Als er den Bahnhof Purdy‘s Landing verließ, bot ein Taxifahrer ihm seine Dienste an. Er sagte ja und setzte sich neben den Fahrer.
    »Kennen Sie die Cobbin-Farm?« sagte er.
    »Keine Ahnung«, erwiderte der Taxifahrer. »Noch nie gehört.«
    »Lag früher an der Edge Road.«
    »Edge Road kenne ich.«
    »Da will ich hin. Ich sage Ihnen dann, wo Sie halten sollen.«
    In Sichtweite einer kleinen Siedlung sagte er zu dem Fahrer, er solle halten. Er zahlte, wartete dann jedoch, bis der Mann anfuhr, bevor er sich einem der Häuser näherte. Als der Wagen nicht mehr zu sehen war, verließ er wieder die Auffahrt und ging dann die Straße entlang. Nichts kam ihm bekannt vor, aber darüber machte er sich keine Gedanken. Alles ändert sich. Nur die geographische Länge und Breite bleibt. Und Steine bleiben auch.

    Vor sich sah er den gezackten Rand des steinigen Abhangs. Und da wusste er, dass er in der richtigen Gegend war. Er rutschte den kleinen Hang hinunter und hielt sich immer wieder fest, um nicht abzustürzen. Vor zwanzig Jahren war er gelenkiger gewesen. Am Fuß des Hangs befand sich ein dichtes Gehölz, und er ging hinein. Erst als er stolperte, sah er den nicht ganz runden Stapel von Steinen, den alten schwarzen Baumstumpf und die Stelle, wo er das Geld versteckt hatte.
    Er begann, die Steine wegzuräumen. Es waren nicht viele. Er hatte keine Angst, dass sein Versteck während seiner Abwesenheit entdeckt worden war. Sein Vertrauen war genauso stark wie sein Glaube.
    Es war da, immer noch im Lederkoffer, alles in bar, säuberlich entsprechend seinem Wert gebündelt, etwas feucht, aber immer noch wie neu aussehend und verwendbar. Er wischte den Koffer ab – neu hatte er vierzig Dollar gekostet – und schnalzte mit der Zunge, als er den Schimmel an den Ecken entdeckte. Aber er war immer noch stabil, und als er ihn am Griff hochhob, wog er ziemlich

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