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Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser

Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser

Titel: Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henry Slesar
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langem der erste.«
    »Das können Sie einem anderen weismachen.«
    Beleidigt entfernte er sich. Beggs bedeckte sein Gesicht mit der Hand. Dann spürte er, wie jemand seinen Rücken berührte, und als er sich umdrehte, sah er die billigen kalkweißen Perlen und die schmale Kehle, die von einem tiefen schwarzen Ausschnitt begrenzt wurde.
    »Tag, Alterchen. Hast du dich erkältet, oder was ist?«
    »Nichts«, sagte er. Sie trat neben ihn und setzte sich auf den anderen Hocker, ein junges, blasses und hübsches Mädchen, dessen Haut noch weißer war als die falsche Perlenkette, die sie trug. »Ich bin es nur nicht gewöhnt«, sagte er. »Ich vertrage das Zeug nicht mehr.«
    »Ihnen fehlt bloß etwas Übung«, sagte das Mädchen lächelnd. Dann merkte er jedoch, dass es nicht echte Freundlichkeit war; das Mädchen arbeitete hier. Er griff nach seinem Koffer. »Bleib noch ein bisschen , Alterchen. Mit einem Flügel kann man ja nicht fliegen.«
    »Das verstehe ich nicht.«
    »Trink noch einen. Diesmal wird er schon besser schmecken.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Ich will dir mal was sagen. Du bestellst dir einen und probierst es; wenn er dir nicht schmeckt, trink‘ ich ihn für dich aus. Das ist so ähnlich wie garantierte Rücknahme, nur kriegst du dein Geld nicht zurück.« Sie lachte vergnügt.
    Er wollte sich weigern, aber dann konnte er es nicht ertragen, dass selbst das gespielte Lächeln wieder verschwand.
    »Meinetwegen«, sagte er mürrisch.

    Der Barkeeper tauchte wieder auf und hatte bereits alles da. Er stellte zwei beschlagene Gläser vor sie hin und füllte beide bis zum Rand. Dann stellte er die Flasche vor Beggs und drehte sie so, dass er die Marke erkennen konnte. Gedemütigt grinste Beggs ihn flüchtig an. Die dünnen weißen Finger des Mädchens legten sich um das Glas und hoben es hoch.
    »Auf dein Wohl«, sagte sie.
    Beim zweiten ging es schon leichter. Es löste ihn zwar nicht, aber die Depression war doch leichter zu ertragen. Und dabei fiel ihm auch wieder ein, wozu ein Glas gut war. Schüchtern betrachtete er das Mädchen, das ihm auf die Schulter klopfte. »Netter Mann«, sagte sie freundlich und gönnerhaft. »Und so hübsches weißes Haar.«
    »Sie trinken gar nichts«, sagte er.
    »Genaugenommen mixe ich ihn mir lieber mit Bier. Könnten wir uns nicht an einen Tisch setzen?«
    Beggs blickte zum Ende der Bar hinüber; der Barkeeper trocknete Gläser ab und schien zufrieden zu sein.
    »Warum eigentlich nicht?« sagte er. Er ergriff den Koffer und kletterte vom Hocker. Sein Fuß war gefühllos, als er ihn aufsetzte, und er lachte. »Junge, was ist denn bloß los? Mein Fuß ist eingeschlafen.«
    Sie kicherte und blickte seinen Koffer an. Dann hakte sie sich ein. »Mensch, du bist nett«, sagte sie. »Ich freue mich riesig, dass du gekommen bist.«
    Er war im Arbeitssaal des Gefängnisses, die Maschinen dröhnten, sein Körper war vor Müdigkeit ganz steif, und sein Kopf schmerzte. Er legte ihn auf die kühle Oberfläche der Drehbank, aber der Wächter schüttelte ihn an der Schulter. »Aufwachen, Mensch!«
    »Was ist los?« sagte Beggs und hob den Kopf von der Tischplatte. Seine Hand hielt das Glas immer noch fest, nur war es leer. »Was haben Sie gesagt?« fragte er.
    »Aufwachen«, knurrte der Barkeeper. »Wir sind kein Hotel. Ich muss jetzt schließen.«
    »Wie spät ist es denn?« Er richtete sich auf, und in seinen Ohren dröhnten Glockenschläge. In seinen Fingerspitzen stach es, und sein Mund war völlig ausgedörrt. »Ich muss eingeschlafen sein«, sagte er.
    »Es ist schon nach eins«, sagte der Barkeeper. »Gehen Sie nach Hause.«
    Beggs blickte über den Tisch. Der Stuhl ihm gegenüber war leer. Er griff nach unten und fasste ins Leere. »Mein Koffer«, sagte er ruhig.
    »Ihr was?«
    »Der Koffer. Vielleicht habe ich ihn an der Bar stehenlassen ...« Er stand auf, stieß gegen die Stühle und drängte sich hindurch. »Irgendwo muss er doch sein«, sagte er. »Haben Sie ihn nicht gesehen?«
    »Hören Sie mal zu, Freundchen...«
    »Mein Koffer«, sagte Beggs ganz deutlich und stellte sich vor den Mann. »Ich will meinen Koffer haben, verstanden?«
    »Ich habe keinen Koffer gesehen. Aber wenn Sie mich beschuldigen wollen...«
    »Das Mädchen, mit dem ich zusammen saß. Das hier arbeitet.«
    »Hier arbeiten keine Mädchen, mein Freund. Sie scheinen sich eine falsche Vorstellung von meinem Lokal zu machen.«
    Beggs packte den Mann am Jackettaufschlag, wenn auch nicht allzu kräftig.

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