Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser
viel.
Mit dem Koffer in der Hand kehrte er zu der Straße zurück. Diesmal hielt er vor einem der Häuser und klopfte. Eine Frau machte die Tür auf und blickte zweifelnd auf seinen Koffer, als erwartete sie, dass ihr irgendetwas angedreht werden sollte; aber als sie sein schneeweißes Haar sah und seine Frage hörte, löste sich ihre Spannung. Ob er vielleicht ein Glas Wasser haben könnte? Natürlich. Und ob er, bitte, telefonieren und ein Taxi bestellen dürfte? Nur los, das Telefon sei gleich da drüben. Die Frau war nett, wenn auch nicht mehr ganz jung. Und es war ein Schock, als Beggs daran dachte, dass Edith jetzt ungefähr genauso alt sein musste.
Bei Einbruch der Dunkelheit kam er in seine alte Gegend. Die roten Lichtflecken der Wohnungen taten nichts zu ihrer Verschönerung. Sie ähnelten dem Make-up einer Dirne. Viel hatte sich nicht verändert, fand er, höchstens zum Schlechteren. Verfall und Niedergang, eine neue, zwanzig Jahre alte Schmutzschicht auf Bürgersteig und Häuserwänden. Dann erst entdeckte er die Unterschiede: riesige Schaufenster bei dem Drugstore an der Ecke, eine Häuserlücke, wo früher das Süßwarengeschäft gestanden hatte, andere Nationalitäten bei den Straßengören und eine neue Leuchtreklame vor ›Mike’s Bar and Grill‹. ›Lucky‘s‹ stand jetzt darüber, und wenn es aufflammte, flackerte und knackte das ›L‹, als wollte es im nächsten Augenblick durchbrennen.
Er ging in die Bar. In seiner Jugend, und selbst nach seiner Hochzeit, war er ziemlich oft hier gewesen. Aber nur die geographische Länge und Breite stimmte noch. Bei Mike war das Lokal solid eingerichtet und anständig beleuchtet gewesen, und der Mann hinter der Theke hatte immer Schweißperlen auf den Unterarmen gehabt. ›Lucky’s‹ war etwas völlig anderes. Es war dunkel, zu dunkel für alte Augen, und mit Chrom und buntem Glas geschmückt: eine verdammte Cocktailbar. Und sogar Frauen waren da. Er sah ein schwarzes Kleid und eine Perlenkette und hörte hartes weibliches Lachen. Der Mann hinter der Theke trug eine weiße Uniform und hatte das Gesicht eines Frettchens. Mit der Kasse spielte er wie auf einer Hammondorgel.
»Bitte, Sir?« sagte der Mann hinter der Bar.
»Telefon?« sagte Beggs heiser.
Verachtung. »Da hinten.«
Er stolperte über irgendetwas, fing sich wieder und entdeckte die Telefonzelle. Unbeholfen blätterte er in dem Telefonbuch, wunderte sich über dessen Dicke, und der Dunst des Alkohols war so stark, dass ihm fast schwindlig wurde; seit zwei Jahrzehnten war kein Whisky seine Kehle hinuntergelaufen. Dann fand er ihren Namen, Beggs Edith, und die Nummer war zwar anders, aber die Adresse noch dieselbe. Aus Dankbarkeit, dass seine Frau so störrisch war und nichts geändert haben wollte, weinte er fast.
Er ging in die Zelle, klemmte sich den Koffer zwischen die Beine, holte fünf Cent aus der Tasche und merkte, dass die Gebühren sich ebenfalls geändert hatten. Er fand zehn Cent, steckte das Geldstück jedoch nicht in den Schlitz. Dazu zitterten seine Hände zu stark. Er konnte es nicht ertragen, konnte nicht in dieser gläsernen Zelle sitzen und dabei im Hörer eine Stimme von gestern hören, dünn und körperlos. Schwitzend trat er aus der Zelle.
An der Bar setzte er sich auf den Plüschhocker, stützte die Ellbogen auf die Theke und legte den Kopf in die Hände. Sonst saß niemand an der Bar. Der Barkeeper näherte sich ihm wie ein Vogel seiner Beute. »Was darf es sein?« sagte er einladend. »Sie sehen aus, als könnten Sie was gebrauchen, Freund.«
Beggs blickte auf. »Was ist mit Mike passiert?«
»Mit wem?«
»Bitte – bitte einen Whisky.«
Das Glas stand vor ihm, war bezahlt und milderte die Spannung zwischen ihnen. Der Barkeeper wurde freundlicher und sagte: »Meinen Sie Mike Duram? Dem die Bar früher gehörte?«
»Ja.«
»Einsachtzig unter der Erde«, sagte der Mann und deutete mit dem Daumen nach unten. »Vor etwa zehn Jahren. Seitdem hat das Lokal viermal den Besitzer gewechselt. Sind Sie ein Freund von Mike oder so?
»Ich kannte ihn«, sagte Beggs. »Vor langer Zeit.« Er trank das Glas in einem Zuge aus, und wie eine Granate explodierte der Alkohol in seinem Kopf. Er hustete, krächzte, und beinahe wäre er vornüber auf die Mahagoniplatte gefallen. Der Barkeeper fluchte und brachte ihm ein Glas Wasser.
»Was soll das heißen, Sie Überkluger?« sagte er. »Wollen Sie mir etwa vormachen, mein Whisky sei nicht gut?«
»Tut mir leid; das ist seit
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