Ein Bündel Geschichten für lüsterne Leser
denn sie lachte gebrochen und wischte sich mit dem Handrücken eine Träne aus dem Gesicht.
»Mein Gott, an was ich nur alles denke!« sagte sie. »Harry, weißt du eigentlich, wie alt ich bin?«
»Das ist mir egal...«
»Ich bin eine Frau mit einer erwachsenen Tochter. Harry, du hast deine Tochter noch gar nicht gesehen.« Sie machte sich von ihm los und ging zu einer geschlossenen Schlafzimmertür. Sie klopfte, und ihre Stimme zitterte. »Harry, du hast Angela noch nie gesehen. Sie war noch ein Baby, als du... Angela! Angela, wach auf!«
Im nächsten Augenblick öffnete sich die Tur. Das blonde Mädchen in dem weitgeschnittenen Nachthemd gähnte und blinzelte. Sie war hübsch, machte aber ein böses Gesicht.
»Was ist denn los?« sagte sie. »Was soll das Geschrei?«
»Angela, ich möchte dich mit jemandem bekannt machen, mit jemand besonderem!«
Edith schlug die Hände zusammen und blickte Beggs an. Beggs blickte das Mädchen an und lächelte einfältig und verwirrt. Aber lange hielt das Lächeln nicht vor. Edith sah, wie es wieder verschwand, und stieß einen Laut der Enttäuschung aus. Sie blickten sich an, der alte Mann und das Mädchen, und Angela zerrte nervös an der Kette aus billigen kalkweißen Perlen, die sie immer noch trug.
Hüte und Schachteln
U nterscheiden Sie zwischen Halswirbeln, Brustwirbeln, Lendenwirbeln und Kreuzbein.‹ In Ordnung, sagte sich Perry Hatch, der über das Prüfungsformular gebeugt war, und griff mit der Hand nach unten, um sich am Knöchel zu kratzen. Dabei zog er den Zettel hervor, den er in der Socke versteckt hatte, und blickte dann hoch, um zu sehen, was Professor Jarvis tat. Wie gewöhnlich atmete der Professor durch den geöffneten Mund, und seine Augen schienen durch die dicke Brille ins Leere zu starren.
Es war kinderleicht. Die Antwort auf die nächste Frage wusste er, ohne den Zettel zu Rate ziehen zu müssen. Die dritte war allerdings schwieriger, und wieder juckte sein Knöchel.
»Mr. Hatch!«
Der Kopf des jungen Mannes fuhr bei diesem plötzlichen Ruf hoch. Wie ein von Motten zerfressener Mähnenlöwe stürzte Professor Jarvis sich auf sein Opfer, während die Rockschöße hinter ihm her flatterten. Perry umklammerte immer noch den Zettel, als der Professor sein Handgelenk packte.
»Fallen lassen!« donnerte Jarvis. »Sofort fallen lassen!«
Perry ließ den Zettel fallen; der Professor hob ihn auf und fand seinen Verdacht bestätigt. Dann fegte er das Prüfungsformular vom Schreibtisch des Studenten. »Sie können aufhören«, sagte er barsch. »Bleiben Sie sitzen, bis die anderen fertig sind, und warten Sie nachher hier.«
»Aber Herr Professor...«
Jarvis machte kehrt und ging zum Katheder zurück. Die graue Farbe seiner Wangen war verschwunden. Immerhin hatte er dem alten Leichnam wenigstens wieder etwas Leben eingeblasen, überlegte Perry trocken.
Als die Stunde vorüber war, warf niemand auch nur einen Blick auf den in Ungnade gefallenen Perry – nicht einmal Dino, sein Freund. Mit der Arroganz des Alters saß Jarvis da und raschelte mit Papieren, als der Raum leer war. Zehn Minuten dauerte es, bis er Perry aufforderte, nach vorne zu kommen.
»Warum haben Sie gemogelt?« fragte er verächtlich.
»Ich habe nicht gemogelt«, sagte Perry. »Ich meine – nicht die ganze Zeit. Nur auf die eine Frage war ich nicht vorbereitet. Das ist alles.«
»Sie geben also zu, dass Sie auf frischer Tat ertappt worden sind!« Jarvis putzte sich mit einem riesigen Taschentuch die Nase. »Ich hasse Mogeln und Lügner, Hatch. Für so etwas ist an der Universität kein Platz.«
»Aber Sie können mich doch nicht...«
»Sie brauchen mir nicht zu erklären, was ich kann und was nicht! Bei wie vielen Prüfungen haben Sie bereits abgeschrieben?«
»Bei keiner, Herr Professor. Das schwöre ich!«
»Ob der Dekan das glauben wird, bezweifle ich.«
»Bitte, Herr Professor!«
Jarvis schlurfte zur Tafel und begann mit wütender Konzentration, sie sorgfältig abzuwischen. Dann drehte er sich um.
»Ich werde Sie nicht anzeigen, Hatch. Für einen Studenten ist das Semester noch nicht weit genug fortgeschritten, um in Schwierigkeiten zu kommen.«
»Das finde ich großartig von Ihnen...«
»Allerdings habe ich nicht die Absicht, Ihnen diese Unehrlichkeit durchgehen zu lassen. Deshalb werde ich noch heute abend Ihrem Vater schreiben.«
»Meinem Vater? Weshalb?«
»Ich habe festgestellt, dass mein Einfluß häufig nicht so groß ist wie der der Eltern«, sagte Jarvis
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